Zum Inhalt springen

#2 Notizen: Karl-Heinz Frommolt (Tierstimmenarchiv) –
Über digitales Gezwitscher

Via App Vogelgezwitscher und Pflanzenfamilien identifizieren? Das kann ja nur spannend sein. Deshalb schauten wir mal im Museum für Naturkunde Berlin vorbei und befragten Karl-Heinz Frommolt, den Leiter des Tierstimmenarchivs.

Für alle, die keine Zeit zum Zuhören haben oder sich einfach einen Überblick über das Gespräch wünschen, haben wir hier die wichtigsten Thesen und Hintergrundinfos zusammengetragen.


Thesen Thesen | Hintergrundinfos Hintergrundinfos | Tipps Tipps für Studenten


Thesen

  • Das meiste Wissen im Bereich Bioakustik wird nicht im Studium vermittelt. Studenten müssen hier selbst aktiv werden, in die Praxis gehen und sich Kenntnisse autodidaktisch aneignen. Für akustische Grundlagen bleibt im Lehrplan nicht genügend Platz.
  • Nein, Wölfe greifen Menschen nicht an ;-).
  • Es gibt individuelle Merkmale, die in den Tierstimmen ausgemacht werden können – beispielsweise singen/heulen auch Tiere manchmal etwas schief oder heiser.
  • Handys / Smartphones sind keine guten Aufnahmegeräte für Tierstimmen: Einfache Voicerecorder sind nicht geeignet, da durch die Komprimierung Daten verlorengehen und zudem der Speicherplatz auf Smartphones zu gering ist.
  • Das Biomonitoring kann durch digitale Technik ganz neue Fragen beantworten: So ist nun die kontinuierliche Aufzeichnung von Tierstimmen möglich. Damit können Vogelbestände oder das Vorkommen anderer lautgebender Tiere erfasst werden. Das war früher praktisch nicht machbar.
  • Das in der Bioakustik verwendete Datenformat ist stabil, die Langzeitverfügbarkeit unkomprimierter Daten ist damit auf technischer Ebene weitgehend sichergestellt, da es aus einer einfachen Zahlenreihe besteht. Der Frequenzbereich liegt bei bis zu 48 Kilohertz, die Datentiefe bei bis zu 24 Bit.
  • Es ist illusorisch, alles aufzuheben. Wir sollten uns überlegen, was genau dauerhaft archiviert werden sollte. Einerseits kommt die Speicherkapazität von Servern doch irgendwann an ihre Grenzen, andererseits sind Sicherungskopien aufwendig. Auch die Datenanalyse kosten Zeit und vor allem Energie.
  • Die Mustererkennung muss unbedingt weiterentwickelt werden, beispielsweise um einzelne Stimmen aus einer Vielzahl selektieren zu können.
  • Die Bedeutung eines Archivs hängt nicht von dessen Größe ab. Gerade im akustische Bereich können in einer Nacht mehr Aufnahmen als in den vergangenen Jahrzehnten zusammen produziert werden. Viel wichtiger ist daher die Bereitstellung bzw. Verfügbarkeit unkomprimierter und gut dokumentierter Materialien: die Möglichkeit, hochwertige Tonaufnahmen zu nutzen.

Hintergrundinfos

 

Dr. Karl-Heinz Frommolt

… ist Ornitologe, Leiter des Tierstimmenarchiv Berlin und damit Kustos der entsprechenden Sammlung. Frommolt studierte Biologie an der Staatlichen Universität Kischinjow in Moldawien und promovierte in Moskau über die „Lautaktivität des Wolfes“. Seine Forschungsgebiete sind die akustische Kommunikation von Wirbeltieren sowie das akustische Brutvogel-Monitoring.

Infos zu Karl-Heinz Frommolt

Tierstimmenarchiv Berlin

Das Berliner Tierstimmenarchiv wurde 1951 gegründet und ist seit 1995 an das Museum für Naturkunde angeschlossen. Es zählt zu den drei größten der Welt. Hier lagern einmalige Zeugnisse, die bereits zu 97 Prozent digitalisiert sind. Die restlichen drei Prozent müssen innerhalb der nächsten zwei Jahre in die digitale Welt migriert werden. Schon heute sind 34.000 Tonaufnahmen online frei zugänglich für Forscher, Künstler, Pädagogen und interessierte Laien.

Infos zum Tierstimmenarchiv

Naturkundemuseum Berlin

Das „Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung“ verbindet Forschung mit Wissensvermittlung. Über 600.000 Besucher sehen sich jedes Jahr die Ausstellungen an: von riesigen Sauriern bis hin zu glitzernden Edelsteinen. Die Sammlung des Naturkundemuseums umfasst über 30 Millionen Objekte.

Infos zum Museum für Naturkunde

Bioakustik

Bioakustik“ bezeichnet die Erforschung der akustischen Kommunikation von Tieren. Sie ist eine Teildisziplin der Biologie. Dabei geht es nicht nur um stimmhafte Laute, erzeugt im Kehlkopf von Wirbeltieren, sondern beispielsweise auch um die Schallerzeugung von Grillen, Spinnen oder Fischen. Die Bioakustik fokussiert sich auf Lautäußerungen und deren Funktionen, ggf. in Verbindung mit Mimik und Bewegungen.

Infos zur Bioakustik

Akustisches Signal

Ein akustisches Signal ist nichts anderes als eine Druckwellenschwankung. Ein Ton hat eine bestimmte Höhe bzw. Frequenz, die Amplitude schlägt also unterschiedlich hoch aus.

Aufnahmeverfahren

Bereits um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden Tierstimmen aufgenommen. Jedoch konnten große Frequenzbereiche damals noch nicht abgebildet werden. Wachswalzen waren gängige Aufnahmegeräte. Oberhalb von vier Kilohertz konnte man jedoch kaum etwas erfassen.

In den 30er Jahren gab es eine Revolution der Aufnahmetechnik: elektrische Mikrofone, die den Frequenzbereich deutlich erweiterten und eine wissenschaftliche Auswertung ermöglichten. Der deutsche Ornitologe Ludwig Koch hielt Aufnahmen auf Schellackplatten fest.

Bild: MPIWG-Berlin

In den 90er Jahren entwickelte sich die Digitaltechnik, die Data Recorder kamen auf.  Die Klangqualität von Spulentonbandgeräten überstieg jene der herkömmlichen Kassettenrecorder. Der Sony Minidisc-Recorder oder Solid-Disc-Recorder setzten sich nicht durch.

Heute werden digitale Aufzeichnungen direkt auf Speicherkarten gesichert, meist im .wav-Format. Aufnahmen werden bei Bedarf auch signalgesteuert ausgelöst, beispielsweise bei Fledermäusen. Mit dem sogenannten „Pre-Recording“ entgehen Bioakustiker der Gefahr, den Beginn der Sequenzen vor dem Drücken des Aufahmeknopfes zu verpassen. Auch das Medium selbst ermöglicht aufgrund der hohen Speicherkapazität heute quasi zeitlich unbeschränkte Aufnahmen. Wochenlange Aufzeichnungen im Feld sind heute möglich, dazu muss noch nicht einmal mehr ein Mensch anwesend sein, relevant wird dies beispielsweise in Naturschutzgebieten.

Infos zur Historie der Bioakustik

DAT-Band

Ein sogenanntes „Digital Audio Tape“ ist ein Magnetband für analoge Aufnahmerecorder, die bis in die 90er Jahre hinein verwendet wurden. Heute müssen Magnetbänder schnellstmöglich digitalisiert werden, da sie mit der Zeit verkleben oder auf andere Weise beschädigt werden. Auch die entsprechenden Abspielgeräte werden zwangsläufig „aussterben“.

Infos zum DAT-Band

FFT-Analyse

Die sogenannte „Fast Fourier Transformation“ oder „schnelle Fourier-Transformation“ kommt bei der Analyse des Tonmaterials zum Einsatz. Dabei wird die Aufnahme in ihre einzelnen Frequenzbereiche zerlegt und kann so gemessen bzw. weiterverarbeitet werden. Anhand der sich ergebenden Parameter können die Daten visualisiert und einzelnen Rufe exakt bestimmt werden. Auch Tonhöhen, die für menschliche Ohren nicht wahrnehmbar sind, werden so analysierbar.

Infos zur FFT-Analyse. Hier: Fledermaus

Raven

Eine besonders für Studenten geeignete Analysesoftware, um eine Rufanalyse durchzuführen. Sie ist open-source und wird als „Interactive Sound Analysis Software“ geführt. Raven wurde (und wird) am Cornell Lab of Ornitology entwickelt und ist damit perfekt geeignet für bioakustische Fragestellungen. Die „Lite“-Version ist kostenlos verfügbar und unterscheidet sich kaum von der professionellen Version. Lediglich das Hin- und Herschalten zwischen mehreren Kanälen ist in der kostenfreien Version nicht möglich.

Infos zu Raven 

App „Naturblick“

Die Naturblick-App ist eine Entwicklung des Museums für Naturkunde Berlin und ermöglicht eine automatische akustische Artbestimmung von Vögeln aufgrund von Mustererkennung. Die App greift auf die Bestände des Tierstimmenarchivs zurück, um die Laute zu trainieren. Sie wurde als Instrument der Wissensvermittlung entwickelt. In einem „Feldbuch“ können eigene Aufnahmen und Fotos abgelegt werden. Auch die Pflanzenbestimmung wird erleichtert. Ziele des Projekts sind: (1) Aufmerksamkeit für die Natur zu wecken im Sinne eines Public Understanding of Science und (2) Tierstimmen zu erfassen und zu dokumentieren, denn jede Aufnahme ist ein akustischer Beleg dafür, dass eine Art in einem bestimmten Gebiet vorkommt.

Die App befindet sich in ständiger Weiterentwicklung und ist kostenlos verfügbar.

Infos zur App „Naturblick“

„Forschungsfall Nachtigall“

Das Citizen-Science-Projekt ist am Naturkundemuseum angesiedelt und arbeitet mit der Naturblick-App. Interessierte können mitmachen und Nachtigall-Gesänge im Raum Berlin – und bald auch bundesweit – dokumentieren. Ziel ist, auf Grundlage der Smartphone-Aufnahmen Habitate aufzuspüren und Brutgebiete ausfindig zu machen. Auch der Gesang selbst soll erforscht werden.

Wer interessiert ist, kann mit der Naturblick-App teilnehmen.

Infos zum Projekt

Tipps für Studierende

  • Werdet selbst aktiv! Nicht alles kann im Studium vermittelt werden, ganz besonders gilt das für die Bioakustik. Qualifikationsarbeiten wie Bachelor- oder Masterarbeiten sind gut geeignet, um sich hier zu spezialisieren.
  • Informiere dich! Ein Blick in die Curricula von Hochschulen lohnt sich, wenn du Interesse am Forschungsfeld „Bioakustik“ hast.
  • Literaturtipp: „Principles of Animal Communication“ von Bradbury / Vehrenkamp (1. Auflage!)
  • Lass für eigene Aufnahmen dein Smartphone zuhause und nutze gute Aufnahmegeräte.
  • Falls du Aufnahmen des Tierstimmenarchiv nutzen möchtest, kannst du gekürzte Audiofiles direkt in der Datenbank finden und als MP3 downloaden. Wende dich an die Mitarbeiter des Archivs, falls du die vollständigen Originalaufnahmen im Wav-Format benötigst.
  • Achte auf die Lizenzierung der Dateien. Sie sind urheberrechtlich geschützt und primär für nicht-kommerzielle Zwecke gedacht. Also lieber vor Veröffentlichung Kontakt zum Tierstimmenarchiv aufnehmen und nachfragen.
  • Raven ausprobieren ;-)!
  • Praktikum gefällig? Gerade für Kommunikationswissenschaftler und Biologen mit Interesse an der Bioakustik bietet sich ein Praktikum in einem Tierstimmenarchiv an, vor allem wenn eine entsprechende Abschlussarbeit geplant ist.
Spannend? Dann unterstütze uns!
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert