Zum Inhalt springen

#1 Transkript – Ein Besuch bei Markus Schnöpf, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Zurück zur Podcast-Folge

Deaf IconAuf dieser Seite gibt es das vollständige Transkript der Podcast-Folge inklusive Kapitelmarken und Sprecheridentifikation.
Folgennotizen, weiterführende Links – und natürlich das Audio selbst – gibt es auf der Podcast-Seite der Folge.


Der Historiker Markus Schnöpf (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) berichtet aus seiner Werkstatt: Warum er digitale Methoden für die Geisteswissenschaften fruchtbar findet, was die „Digital Classicists“ in Berlin machen und was er Studenten rät, um im neuen Forschungsfeld Fuß zu fassen.

Kapitelmarken
Über diesen Podcast
Begrüßung Markus Schnöpf
Digitalisierung am Beispiel von Keilschriften
Status Quo Digitalisierung
Neue Arbeitsformen und Herausforderungen
Medienkompetenz als zentrales Thema
Für Studierende: Wie anfangen mit Informatik / Digitaltechniken?
Langzeitverfügbarkeit von digitalen Forschungsarbeiten
Vorteile digitaler Methoden
Digital Classicists Seminare in Berlin
Zur Zukunft der Digital Classicists
Wünsche an Digital Humanities und den Nachwuchs
Tipps für angehende Wissenschaftler
Ausklang


Digitale Wissenschaft
Folge: #1 – Ein Besuch bei Markus Schnöpf, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Podcast vom: 27.02.2018
Moderatoren: Jens-Martin Loebel, Carolin Hahn
Interviewgast: Markus Schnöpf
Bitte beachte: Das Transkript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.


[♫ Intromusik ertönt ♫]

Volker Davids: Digitale Wissenschaft. Forschung verändert sich. Wir erklären, wie.

Ein Podcast über Wissenschaft im Digitalzeitalter. Mit spannenden Interviews, Praxistipps und Forschungsprojekten von Archäologie bis Zellbiologie. Für die Forscher von heute und die KIs von morgen. Mit Jens-Martin Loebel und Carolin Hahn.

[Intromusik endet]

Über diesen Podcast

Jens-Martin Loebel: Hallo! Schön, dass ihr eingeschaltet habt zu unserem brandneuen Podcast. Ich bin Jens-Martin Loebel.

Carolin Hahn: Und ich bin Carolin Hahn.

Wir wollen euch spannende Einblicke in den Forschungsalltag geben, denn die Wissenschaftslandschaft ändert sich.
Algorithmen durchsuchen Texte, historische Gegenstände werden mit 3D-Kameras gescannt und mittlerweile sind sogar immer mehr Forschungsarbeiten unter freien Lizenzen online verfügbar. Zeit, das alles einmal unter die Lupe zu nehmen!

Jens-Martin Loebel: Genau! Da wir selbst in der Wissenschaft arbeiten, fanden Caro und ich es total spannend, das mal zu dokumentieren und näher zu beleuchten. Naja, und so entstand die Idee zu diesem Podcast.

Ich hab meines Zeichens Informatik und Psychologie studiert, komme also aus dem natur- und technikwissenschaftlichen Bereich.

Carolin Hahn: Ja, und ich habe Germanistik und Philosophie studiert – also eine klassische geisteswissenschaftliche Ausbildung hinter mir.

Jens-Martin Loebel: Nun vermischen sich die Gebiete gerade in der Praxis mitunter sehr. Stichwort: Interdisziplinarität. Caro und ich arbeiten seit vielen Jahren in ganz unterschiedlichen Projekten und Bereichen sehr anwendungsorientiert. Und da haben wir eben im Alltag einiges an Praxiswissen ansammeln können, was wir natürlich gerne weitergeben wollen. Also zumindest in der Hoffnung, dass andere die Fallen vermeiden können, in die man am Anfang eigentlich immer stapft.

Wir wollen euch in unserem Podcast also einen praxisnahen Einblick in die neue Wissenschaftswelt geben. Euch am besten für digitale Methoden begeistern und zeigen, was alles möglich ist und vielleicht in Zukunft möglich sein wird.

Carolin Hahn: Und wir möchten diskutieren, welche Fragen Algorithmen vielleicht nicht beantworten können – oder sollten. Genau dazu laden wir regelmäßig spannende Gäste aus Wissenschaft und Praxis zu einem Interview ein. Wir wollen Forschungsstätten besuchen und euch Projekte sowie neue Methoden vorstellen.

Jens-Martin Loebel: Ja, und zeigen, wo in der Realität dann doch Probleme auftreten.

Carolin Hahn: Auf unserer Webseite digitale-wissenschaft.de (ich hoffe ihr habt mitgeschrieben) erhaltet ihr übrigens viele weitere Informationen, die euch ganz konkret weiterhelfen sollen.

Wir haben einen Blog, in dem wir euch Digitaltools und Tipps vorstellen, mit deren Hilfe ihr euch Stück für Stück in fachübergreifende digitale Methoden und Werkzeuge einarbeiten könnt. Ja, und natürlich freuen wir uns über euer Feedback.

Jens-Martin Loebel: Ja bitte!

Carolin Hahn: Ihr könnt die Beiträge gerne auf unserer Webseite kommentieren und uns Feedback an podcast@digitale-wissenschaft.de schicken. Und falls Sie auf ein tolles Projekt oder einen Wissenschaftler gestoßen seid, den wir unbedingt interviewen sollen, dann schreibt uns direkt. Die Wissenschaftslandschaft ist breit, da gibt es viel zu entdecken.

Jens-Martin Loebel: Außerdem findet ihr auf unserer Webseite auch Rezension zu hilfreichen Büchern, die euch den Schritt in die digitale Wissenschaftswelt erleichtern können. Aber genug der Vorrede.

Legen wir los mit unseren ersten Interviewgast.

Carolin Hahn: Unser erstes Interview haben wir mit Markus Schnöpf hinter den altehrwürdigen Mauern der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geführt. Markus ist von Haus aus Historiker, kann und macht aber eigentlich Tausend Dinge.

Er ist hier wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt TELOTA. Die Abkürzung steht für: The Electronic Life of the Academy. Also sehr modern. Es gibt an der Akademie also eine eigene Abteilung, die sich mit der digitalen Erschließung historischer Quellen befasst.

Jens-Martin Loebel: Und übrigens auch eine der wenigen verbliebenen alten Paternoster mit dem man wunderbar hoch und runter fahren kann.

Carolin Hahn: Ooh ja! Und obwohl Markus eine geisteswissenschaftliche Ausbildung hinter sich hat beschäftigt er sich eigentlich schon immer mit digitalen Methoden. Er scannte unter anderem vor fast 20 Jahren die Keilschrift-Sammlung der Eremitage. Aber das kann er euch ja gleich selbst erzählen.

Jens-Martin Loebel: Heute ist er Lehrbeauftragter an der Freien Universität im Masterstudiengang Editionswissenschaften und betreut hier an der Akademie der Wissenschaften unter anderen das Corpus Coranicum – eine digitale historisch-kritische Fassung des Korans. Es gibt also viel zu tun.

Carolin Hahn: Wer Markus auch mal persönlich kennenlernen möchte, kann ihn jeden letzten Freitag des Monats im Berliner Deckshaus treffen, wo er den Digital-Humanities-Stammtisch organisiert. Das ist übrigens ein altes Schiff, das auf der Spree herumschwimmt und jetzt als Restaurant genutzt wird – wo man auch ein sehr leckeres Bier bekommt. Oder ihr trefft ihn einfach in den Seminaren der Digital Classicists. Aber auch dazu gleich mehr von Markus.

Begrüßung Markus Schnöpf

Jens-Martin Loebel: Wir befinden uns heute hier mitten im Herzen Berlins, am historischen Gendarmenmarkt. Eingeladen hat uns Markus Schnöpf.

Carolin Hahn: Hallo Markus Schnöpf!

Markus Schnöpf: Hallo Jens, hallo Caro! Schön, dass ich bei euch sein darf.

Jens-Martin Loebel: Schön, dass du Zeit gefunden hast. Wir können ja gleich mal loslegen. Was uns brennend interessiert: Wie hast du eigentlich begonnen, dich mit digitalen Geisteswissenschaften zu beschäftigen?

Markus Schnöpf: Ich habe mich eigentlich schon sehr früh mit den digitalen Geisteswissenschaften beschäftigt. Eigentlich schon fast als Schüler. Ich habe als Schüler, das war 1986, eine Arbeit schreiben müssen. Die habe ich damals über den spanischen Bürgerkrieg in meinem Hauptfach Geschichte geschrieben. Und dort habe ich das erste Mal mit einem Computer eine wissenschaftliche Arbeit abgefertigt. Das war, glaube ich, noch ein Atari oder so etwas. Und dort durfte ich das erste Mal eben digital arbeiten. Allerdings kam dann so Mitte der 80er Jahre kam ja dann auch eine sehr starke Computer-Skepsis auch auf im Allgemeinen, im Rahmen der Volkszählung in Westdeutschland, und Datenschutz und so weiter und so fort. Alles Sachen, die man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann, dass das mal wirklich Themen und Probleme waren. Und habe mich dann erstmal wieder verabschiedet und mich entfernt von dem Computer.

Dann allerdings im Studium, als ich dann hier in Berlin an der Freien Universität Geschichte studiert habe: Da fing das dann an, tatsächlich eben auch, dass ich mich für Themen interessiert habe, die eher mit dem Computer zu bearbeiten sind. Nämlich historische Demographie. Historische Demographie ist eigentlich die einzige Sparte der Geschichtswissenschaft die fundamental und maßgeblich vom Computer auch abhängt. Denn dort werden ja Kirchenbücher ausgewertet und zwar Massendaten auch erhoben. Und diese Massendaten können eigentlich nur mit dem Computer ausgewertet werden. Und insofern war das dann auch auch gleich an der FU. Mein damaliger Professor und Lehrer, Prof. Immenhof. Er war damals der Vorreiter für HTML-Seiten, für Geschichte bauen. Der hat gesagt: “Naja, die Geschichte war ja nie so schweigsam, wie man sie aus den Büchern kennt. Also, wenn man ein Buch liest, dann ist es ja nur still und man hört nichts. Aber die Geschichte war ja eigentlich laut und es hat überall gelärmt.” Und deswegen war er sehr stark daran interessiert, eben auch Multimedia-Inhalte in die Geschichtswissenschaften einzubringen. Und hat deswegen eben auch seine Webseiten dann dementsprechend aufgebaut.

Und insofern war das dann ein fließender Übergang von der historischen Demographie hin zu Multimedia-Geschichtswissenschaften bzw. Geschichtswissenschaften die vom Computer unterstützt werden – und eben auch vielleicht neue Erkenntnisse schaffen. Aber das ist so ungefähr auch die grundsätzliche Frage, die wir in dem Podcast auch klären müssen.

Carolin Hahn: Ja. Aber noch einmal zurück zu deiner Kindheit und deinen Computern. Ich habe nämlich recherchiert, dass du auch einen C64 hattest und noch viel früher – mit 15 wohl. Was hast du da gemacht? Also deine Computer-Begeisterung hat sich schon früher entwickelt, oder?

Markus Schnöpf: Naja, das war der Computer meines Stiefvaters, den ich da bekommen habe bzw. dann verwendet habe. Und es war ja damals so, dass man eben als Datenträger Kassetten genommen hat. Und dann eben auch mit den Kassetten erstmal die grundsätzlichen Programme in den Arbeitsspeicher reinladen musste. Und dann gab es dort Zeitschriften am Kiosk, wo man dann irgendwie auf 20 Seite eben den Code für ein Spiel abtippen musste. Und das habe ich gemacht, das hat mir aber nicht so sonderlich viel Spaß gemacht *Lachen*, einfach nur dumm irgendwelche Sachen abzutippen. Aber eben ich gehöre der Generation C64 an, ja.

Digitalisierung am Beispiel von Keilschriften

Carolin Hahn: Und dann ging es um die Keilschriften, also:

Markus Schnöpf: Der Glücksfall, den ich hatte, war, dass ich dann am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte als studentische Hilfskraft angefangen hatte. Und dort vorwiegend eben zuerst mal für das reine Abtippen, also Transkribieren, von gedruckten Quellen zur Geschichte der Mechanik in eine Datenbank – das war eine FileMaker Datenbank – beschäftigt war. Und dann eben auch mit Keilschrifttafeln, mit der Digitalisierung der Keilschrifttafeln … Es gab damals (und das gibt es immer noch) ein großes Projekt, dass CDLI vom Digital Library Initiative, als internationales Forschungsprojekt. Sehr inspiriert durch Peter Damerow, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut war. Und dort haben wir eben angefangen oder versucht, eben alle möglichst oder möglichst viele Keilschrifttafeln zu Bild-digitalisieren, und dann aber eben auch per Volltext zu erfassen. Und da gibt es eben verschiedene Sammlungen.

Wir haben hier in Berlin am Vorderasiatischen Museum eine große Sammlung von Keilschrifttafeln. Die musste erstmal digitalisiert werden und ich war dann drei Monate in Petersburg gewesen, um die Sammlung in der Eremitage zu digitalisieren. Und das war halt eben – ja das war um die Jahrtausendwende. Das heißt, man hatte eben noch nicht so gute Digitalkameras bzw. Handys gab es auch noch nicht. Ich glaube es war die Zeit, wo Nikon die D2 herausgegeben hatte. Und mit dieser Kamera bin ich dann nach Petersburg gefahren. Und einem A3 Scanner. Und das war alles sehr spannend.

Am 8. Mai 2000 bin ich dort angekommen, am 9. Mai wann gleich die Feiern zum Ende des Krieges mit Paraden und so weiter und so fort. Die Sachen vom Zoll dann raus zu bekommen und dann in der Eremitage aufzubauen, das war dann schon sehr spannend. Und dann habe ich natürlich einen Trick angewendet. Normalerweise hat man dann immer jede Keilschrifttafel einzeln draufgelegt und von allen Seiten digitalisiert. Also man muss sich eben eine Keilschrifttafel ist ein dreidimensionales Objekt, wo die Vorderseite, die Rückseite – aber auch die Seiten – beschriftet sind. Und deswegen muss man pro Keilschrifttafel 1,2,3,4,5,6 Aufnahmen machen. Und ich habe mir dann da von den Technikern der Eremitage einen Kasten, ein Template sozusagen, bauen lassen, wo ich dann eben nicht nur eine Keilschrifttafel mit einem Scan digitalisieren konnte, sondern eben gleich 20 Keilschrifttafeln digitalisieren konnte.

Status Quo Digitalisierung

Jens-Martin Loebel: Was ich ganz spannend finde an der Beschreibung, ist, wie viel forscherische Handarbeit man noch machen muss. Also, man fährt dann nach St. Petersburg. Man muss alles fotografieren. Also wie viel Einsatz dann noch erforderlich ist. Wenn wir heute an digitale Wissenschaft denken, dann denken wir wirklich an Computerarbeit. Irgendwas eingeben. Aber es ging ja wirklich Hand in Hand mit Forschung und mit wirklich Hand Anlegen.

Wann hast du denn zum ersten Mal gemerkt, dass sich was verändert oder das diese digitalen Werkzeuge irgendwie in den Alltag eintreten, in den Forschungsalltag?

Markus Schnöpf: Es ist heutzutage noch nicht viel besser, die Situation. Also wir denken eigentlich, dass wir eigentlich schon so viele Informationen digital vorliegen haben. Aber im Endeffekt: Die meiste Information liegt doch noch analog vor. Wenn ich z.B. hier – Wir sind ja hier in den Räumlichkeiten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und wir haben hier auch einen Archiv, das 300 Jahre alt ist. Und wenn ich mir da die Bestände angucke, das sind ungefähr sechs laufende Kilometer die dort gesammelt sind. Und von diesen sechs laufenden Kilometern wurden in den letzten 20 Jahren 6 Meter digitalisiert. Und zwar Bild-digitalisiert. Dann kann man sich mal ausrechnen, wie lange wir eigentlich noch brauchen, um tatsächlich diese ganzen Informationen digital vorliegen zu haben.

Andererseits ist es jetzt so, dass wir in der jüngeren Geschichte – also so seit 1970, habe ich heute gerade gelesen – also das war jetzt der Fall USA. Da wurden dann – die ganze Kommunikation mit den Botschaften liegt schon digital vor. Also der digitale Turn, das war so ungefähr Anfang der 70er Jahre. Jetzt sind diese digitalen Archive auch der Forschung freigegeben worden. Das heißt eben, ein Historiker heutzutage, der sich über die Geschichte der USA in den 70er Jahren informieren will, hat also eine ganz andere Quellenlage als wir früher. Weil er eben auch diese digitalen Archive eben auch zur Verfügung hat.

Jetzt ist es aber so dass das jetzt nicht irgendwie nur so zwei Kilobyte Daten sind oder zwei Megabyte Daten sind, die man vielleicht noch manuell durchgucken kann, sondern das sind irgendwie so wahnsinnig viele Daten. Also das sind wirklich Massendaten. Und die kann man dann eben auch nicht mehr manuell mit unseren traditionellen Methoden vernünftig analysieren, weil einfach die Datenmenge zu groß geworden ist. Und da ist es ja jetzt so – und das finde ich auch sehr spannend – das mit künstlicher Intelligenz versucht wurde eben auch schon diesen Datenbestand automatisch zu durchforsten und bestimmte Themenblöcke zu identifizieren. Allerdings sind die Systeme eben noch am Anfang, um eben wirklich auch so digital auch analysieren zu können und eben die in diesen Turn vom Close Reading zum Distant Reading, um zwei Schlagworte eben zu erwähnen, um diesem Turn eben auch in den Geschichtswissenschaften vornehmen zu können.

Und wenn du mich fragst, wann ungefähr dieser Umschwung stattgefunden hat, so dass es immer mehr digital wurde … Das Internet war auf alle Fälle Mitte der 90er Jahre – kein Vergleich zu heutigen Bandbreiten und was wir heute alles an Daten saugen – aber zumindest das Internet war auf alle Fälle ein wichtiger Bestandteil oder eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Wissenschaft eben auch den digitalen Turn machen konnte. Und dann würde ich die Zeit ungefähr … weil man muss erstmal Daten anhäufen. Also gerade jetzt für die Geisteswissenschaften brauchen wir, wenn wir eben mit digitalen Daten arbeiten, eine kritische Masse an Daten. Und das hat lange gedauert, finde ich. Also ich würde sagen, um die Jahrtausendwende hat man dann schon die ersten … Naja gut, nein. Um die Jahrtausendwende war das so, dass die Projekte, die dort durchgeführt wurden, das waren alles so Leuchtturmprojekte. Das waren also Einzelprojekte, die alle aber irgendwie: Na, wir digitalisieren jetzt mal einen Bestand. Und das machen jetzt auf unsere Art und Weise.

So für die Geschichtswissenschaften – und zwar die klassischen, also die Altertumswissenschaften – bestand damals aber auch schon ein sehr wichtiger Referenzpunkt, der heutzutage eben immer noch besteht – und zwar das war die Perseus Digital Library. Das heißt, man hatte so seit den 90er oder eigentlich schon seit den 70er, 80er Jahren hatte man eben gerade in den Altertumswissenschaften versucht, eben auch die klassischen Texte per Volltext zur Verfügung zu stellen. Da gab es dann zu Programme wie der Thesaurus Linguae Graecae, die zuerst auf CD vertrieben wurde – oder zuerst auf Disketten vertrieben wurden, dann auf CDs vertrieben wurden, und letztendlich dann eben jetzt übers Internet vertrieben werden. Das heißt, man hat auch gar keinen Datenträger mehr. Und daneben, neben diesem TLG, gab es dann eben auch Perseus, mit sehr ausgearbeiteten Sprachtechnologien, die dort dahinter standen. Um eben auch Studenten und Schülern, die eben des Altgriechischen nicht mächtig sind, Möglichkeiten zu geben, den Text tatsächlich im Original lesen zu können.

Und von diesen Leuchtturmprojekten, die wir eben in den Geisteswissenschaften hatten … Das war so um die Jahrtausendwende, dass die dann anfangen. Und so ab 2005, 2006 hatte man dann schon eigentlich genügend Projekte und konnte eigentlich dann eben auch schon sehen eben: Okay, jetzt haben wir die Projekte. Wir haben jetzt viele verschiedene Beispiele. Wir haben wahnsinnig unterschiedliche Herangehensweisen. Jetzt geht es darum, den nächsten Schritt zu machen – nämlich die Projekte miteinander zu verbinden, einen Datenaustausch zu gewährleisten und eben auch wegzugehen von diesen Einbahnstraßen-Projekten, wo man Sachen nur reinsteckt, aber nichts wieder zurückbekommt.

Was dann ja auch wichtig war war, dass man sich Gedanken gemacht hat, wie eigentlich das Urheberrecht für digitale Produkte eigentlich aussehen soll. Also, welche Lizenzen nimmt man da. Und deswegen war es dann eben auch ein sehr wichtiger Punkt eben, dass Creative Commons mit den Lizenzen gekommen ist und man eben auch eine vernünftige, dem Nutzer eben auch eine Lizenz anbieten konnte. So, dass er wusste, dass du, dass er weiß, was er damit eigentlich auch machen kann, mit den Inhalten. Kann er sie weiterverwenden in seinen eigenen Präsenzen? Kann er irgendwie Daten extrahieren und anderweitig mischen und neu Analysen durchführen? Weil das ging vorher alles gar nicht. Und insofern: Das würde ich sagen, das waren so die die Punkte, die so ein bisschen angedeutet haben, in welche Richtung es geht. Aber die auch wichtig waren, um zu verstehen, wie heute die digitale Geisteswissenschaft aussieht.

Neue Arbeitsformen und Herausforderungen

Jens-Martin Loebel: Es ist wahnsinnig spannend, besonders auch in welchem Tempo das plötzlich Fahrt aufgenommen hat. Ich würde ganz kurz noch mal darauf tatsächlich zurückgehen und ein bisschen weiter ausholen. Wir können ja dann noch mal auf Lev Manovich – Distant Reading, Close Reading – usw. eingehen.

Das heißt, die wissenschaftliche Arbeit hat sich einerseits nicht verändert, weil es immer noch viel, was wir digitalisieren müssen. Also immer noch viel Archivarbeit, forschen. Auf der anderen Seite haben wir jetzt das Digitale. Es entstehen ganz neue Arbeitsformen – aber auch neue Herausforderung. Was siehst du denn als – also du hast jetzt Urheberrecht und anderes genannt – die neuen Probleme oder Herausforderungen, wenn man es positiv formulieren möchte, die wir jetzt so mit diesen digitalen Werkzeugen haben oder die sich in der Forschungsarbeit gestellt haben?

Markus Schnöpf: Also zum Einen aus, meiner Erfahrung heraus, dass ich eben Schulvorträge anbiete: Die haben den Titel “Jenseits von Google und Wikipedia. Was ist wahr, was ist falsch im digitalen Zeitalter”. Diese Schulvorträge, die da halte ich seit 2012. Aber sehe es jetzt heutzutage, 2017,  im Zeitalter von Fake News und Trump und so weiter und so fort, viel wichtiger. Und tatsächlich, eben ist es wirklich so: Die Schüler, die wir heutzutage haben, denen wird so etwas gar nicht vermittelt. Die nehmen Google als Suchmaschine, beschränken sich bei Ihrer Suche, die sie irgendwie stellen, eben auf die ersten 10 Treffer und denken eben, dass es – das ist dann das was wahr ist und was die Welt ist, ne.

Oder sie gehen zu Wikipedia und schreiben im schlimmsten Falle eben einen Artikel ab und reichen den als irgendwie Hausarbeit ein. Ohne zu berücksichtigen, dass das jetzt ein Plagiat ist. Dass sie da jetzt einen Rechtsverstoß vornehmen, dass sie sich mit Federn fremder Köpfe schmücken, und dass die Lehrer eben auch genauso gut in der Lage sind, dieses Plagiate zu identifizieren. Das heißt eben, sie sind sich über die Konsequenzen gar nicht mehr so richtig bewusst. Oder: Sie verwenden Social Media, um irgendwelche urheberrechtlich geschützte Materialien und zu posten, z. B. Das wird ja jetzt eventuell diese Woche sogar noch schlimmer irgendwie so, mit dem mit der Rechtssprechung der EU-Kommission. Und dann eventuell gar keine Memes mehr hochgeladen werden können, weil die Dienstanbieter angehalten sind, schon beim Upload ebensolche urheberrechtlich geschützten Materialien zu filtern. Also sprich, das geht viel weiter.

Und, um jetzt noch mal auf die Schüler zurückzukommen,  da ist eben eben so: Einerseits die Recherchefähigkeit geht uns ein bisschen verloren. Wir glauben, wir werden zu leichtgläubig was Inhalte anbelangt. Wir sind eigentlich gar nicht so richtig darauf vorbereitet, mit Fälschungen usw. umzugehen. Und da sehe ich eigentlich die größte Herausforderung für uns, dass wir uns eine digitale Ethik eigentlich zulegen müssten. Einerseits müssen wir klar und deutlich eben immer sagen, wo wir unsere Inhalte oder unsere Erkenntnisse her haben. Das heißt, eben auch digitale Quellen eben immer auch zitieren und angeben – soweit möglich. Und dann ist es aber auch so – was ich ziemlich beängstigend finde, sind die jüngsten Entwicklungen auch im Bereich der künstlichen Intelligenz.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir bei Bildern ganz genau hingucken und auch wissen das digitale Bilder Fälschungen sein können. Es gibt seit einem Jahr ungefähr, ich glaube von Adobe, ein Programm wo man plötzlich auch Stimmen nachmachen kann. Das heißt, liebe Caro, ich kann irgendwann mal, wenn ich ein Sample deiner Stimme habe, von diesem Podcast nehme, kann ich dir Worte in den Mund legen, die du so nie gesagt hast. Das heißt, eben hier kann auch wieder eine Fälschung eben auftreten. Und das hat jetzt eben auch wirklich in der letzten Woche noch mal eine ganz neue Ebene erreicht. Indem auf Reddit ein Baukasten gepostet wurde, mit dem Bilder oder das Gesicht einer Person auf eine Filmszene gemappt werden kann per KI. Und dann plötzlich … und naja, und wir wissen eben, das Internet hat auch nur seinen Siegeszug einnehmen können, weil es für die Verbreitung von pornografischen Inhalten nützlich war … Und da ist genau wieder dasselbe: Das wird im pornografischen Kontext genutzt.

Aber das Schlimme ist, während diese Photoshop-Skills, um dein Gesicht auf jemand anders Körper zu setzen, noch sehr – also da, da musst du schon was können in Photoshop, da musst du was drauf haben. Jetzt, mit dieser KI-Geschichte und den Filmen ist das auch dem einfachen und normalen Nutzer möglich. Und das ist ein bisschen erschreckend irgendwo. Und ich weiß nicht, was für eine Flut von Bildern wir in Zukunft bekommen werden und Filmen bekommen werden, wo wir uns dann wirklich nur noch fragen müssen, irgendwie so: Ist das wahr, ist das falsch? Und eigentlich darf man eigentlich niemandem mehr trauen, dann so ungefähr in Zukunft.

Und da denke ich eben, ist es ganz wichtig, dass wir eben eine Ethik entwickeln, eben auch Verhaltensmaßregeln entwickeln und diese dann eben auch anwenden. Weil, das sind natürlich Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte die eigentlich gar nicht gehen.

Medienkompetenz als zentrales Thema

Jens-Martin Loebel: Das heißt: Medienkompetenz wird ein zentrales wichtiges Thema plötzlich.

Markus Schnöpf: Genau. Medienkompetenz. Aber eben auch – Also neben der Medienkompetenz ist es ja so, wenn ich mir jetzt die junge Generation angucke … Die verwenden ein Handy, vielleicht gibt es noch ein Tablet. Einen Computer eventuell schon gar nicht mehr. Das heißt, eben früher hatten wir halt eben tatsächlich eben jeder einen Computer. Heutzutage eben mit so einem Handy kann ich eigentlich auch nicht so unbedingt, mit so einem Smartphone eben auch nicht so unbedingt Medienkompetenz vermitteln – oder Programmierkenntnisse. Also ich habe noch nie jemanden gesehen, der auf seinem Smartphone programmiert hat.

Jens-Martin Loebel: Gegenüber der Generation C64 hat sich da einiges geändert. Man wird vom Macher wahrscheinlich zum Konsumierer (Markus Schnöpf: genau) so ein bisschen degradiert.

Markus Schnöpf: Genau, ja.

Carolin Hahn: Zumal man ja auch sagen muss, dass die Algorithmen, die programmiert werden, auch immer eine Interpretation beinhalten. Künstliche Intelligenz wirkt immer total objektiv, und allwissend, und alles erforschend, weil sie halt in der Lage ist, extrem große Datenmengen zu verarbeiten. Aber im Endeffekt ist es auch nur ein Mensch, der es programmiert. Und Medienkompetenz gehört halt da dazu, dass ich auch vielleicht mal in den Algorithmus reingucken kann und mindestens sehen kann, wo er herkommt und wer ihn programmiert hat.

Markus Schnöpf: Ganz genau! Das ist ja auch ein ganz zentraler Punkt, der eben auch diskutiert wird. Wenn ich jetzt einen Geisteswissenschaftler habe, der eben ein Programm, ein Python-Script verwendet, mit einer Bibliothek, um irgendwelche Daten zu analysieren und zu extrahieren. Und da wird dann eben oft gefragt: Naja, inwieweit muss dann dieser Wissenschaftler auch in der Lage sein, diesen Code zu verstehen – den Algorithmus zu verstehen. Und das heißt eben, wenn er das nämlich nicht tut und einfach nur so eine Black Box verwendet, dann kann er eigentlich auch gar nicht gesicherte Aussagen treffen. Weil er eben gar nicht weiß, durch welche Maschine es gegangen ist. Und dann die Interpretation der Ergebnisse schlägt dann schon fehl, weil er eben auch gar nicht in der Lage ist, den Algorithmus zu verstehen. Das heißt eben, der heutige Wissenschaftler muss auf alle Fälle sicherlich diese Algorithmen, die er verwendet, auch verstehen können. Ganz einfach, auch um Fehler ausschließen zu können. Weil ist der Algorithmus tatsächlich wirklich fehlerfrei? Glaubt man das einfach nur oder weiß man es?

Für Studierende: Wie anfangen mit Informatik / Digitaltechniken?

Carolin Hahn: Jetzt haben wir natürlich auch ganz viele Studenten hoffentlich unter unseren Hörern. Wenn ich jetzt geisteswissenschaftlicher Student bin, dann habe ich natürlich jetzt nicht unbedingt den ersten Zugang zur Algorithmen, Codes, Informatik. Was würdest du diesen Studenten raten, damit sie halt auch digitale Techniken anwenden können und damit arbeiten können?

Markus Schnöpf: Na, es ist auf alle Fälle für Studenten wichtig, sich Zusatzqualifikationen anzueignen. Das sind die Qualifikationen, die erstmal gar nicht primär mit dem eigenen Studienfach zu tun haben, die man aber tatsächlich dann doch üben muss. Und das sind grundlegende Programmiertechniken. Man kann Python lernen. Python ist eine wunderschöne Scriptsprache, angelehnt an Monty Python. Also wer Sinn für Humor hat, kann auf alle Fälle mit Python schon mal umgehen. Da gibt es auch ganz viele tolle Webseiten die einem helfen können. Wenn ich Geschichtswissenschaftler bin, dann würde ich zu Programming Historian gehen und dort eben die ersten Kurse belegen. Das sind Webinare und man kann Videos sich angucken und so weiter und so fort. Also da gibt es genügend Möglichkeiten, eben auch als Student sich eben da dann noch mal eben Qualifikation dann anzueignen.

Und eben auch zu sehen: Jetzt will ich eine Webseite basteln. Vielleicht will ich einen Blog basteln. Da muss ich auch bestimmte Dinge können, die ich ja dann hoffentlich auch bei euch auf der Seite finden werde, Anleitungen und so weiter und so fort.

Was ihr ja macht und was ihr versucht mit dem Podcast und mit der ganzen Webseite ist ja eben auch tatsächlich hier auch nochmal den Studenten diese Techniken auch beizubringen und nahezubringen. Zumindest eben aufzuzeigen: Hier könnt ihr das finden, wenn ihr wollt. Es hängt immer davon ab, was will der Student eigentlich.

Jens-Martin Loebel: Man muss sich freiwillig erstmal weiterbilden. Wenn ihr das jetzt hört dann findet ihr direkt unter dem Beitrag bzw. im Podcast Zusatzlinks zu all den Sachen, die Markus gerade angesprochen hat – und noch weitere Informationen. Wer programmieren lernen möchte oder weitere Tools findet ihr direkt da drunter.

Aber ich finde es ganz spannend, weil: Hier ist de facto eine Zusatzqualifikation, die man haben muss. Es entstehen neue Anforderung an das Profil eines Wissenschaftlers / einer Wissenschaftlerin, die so wahrscheinlich gar nicht im Curriculum verankert ist. Das heißt man muss den Einsatz bringen und sich selber erstmal weiterbilden, bis es dann wahrscheinlich irgendwann institutionalisiert wird.

Meinst du, dass dann irgendwann ein Geschichtswissenschaftler / eine Geschichtswissenschaftlerin Programmieren im Studium haben wird?

Markus Schnöpf: Das ist die spannende Frage. Und das, was wir hier machen, wenn wir in den digitalen Geschichtswissenschaften arbeiten, das ist bislang eigentlich nicht in den Stellenplänen der Institutionen vorgesehen, weil es eben einfach zu neu ist. Es gibt in den Institutionen gibt es Bibliotheken, die gibt es seit Hunderten von Jahren. Es gibt die Archive, die gibt es auch von Hunderten von Jahren. Und da gibt es eben dann Stellenpläne. Aber was die digitale Wissenschaft anbelangt: Die sind noch nicht angekommen in den Institutionen und eben auch noch nicht irgendwie so richtig im Studium angekommen. Das heißt eben, ich kann auf alle Fälle mein Literaturstudium durchziehen ohne jemals – Naja gut mit Word muss ich in Kontakt gekommen sein *Lachen*, aber mehr vielleicht auch nicht. Das kann ich natürlich machen. Ich kann vielleicht auch mich so spezialisieren, dass ich auch später eine Professur bekomme.

Wenn ich mich dann aber auf den digitalen Teil stürze und dort etwas mache, dann kann das sehr gut sein, dass ich mir damit gar keine Meriten verdiene, dass das gar nicht akzeptiert wird. Mein Beispiel z. B. als ich meine Abschlussarbeit bei den Geschichtswissenschaften gemacht habe, da habe ich als Erster eine CD abgegeben. Ja, nicht nur eine CD – ich habe drei CDs abgegeben in der Bibliothek. Aber ich musste dazu noch eben auch tatsächlich die Arbeit eben ausgedruckt abgeben. Und genau das Ausgedruckte wurde bewertet, das Digitale nicht. Das heißt, die Studienordnung war noch gar nicht dafür ausgelegt. Gut, das hat sich vielleicht in den letzten 20 Jahren gebessert, aber – das muss sich auch gebessert haben. Weil im Bereich der Dissertationen haben wir diese Veröffentlichungspflicht auch und die ganzen elektronischen Dokumenten-Server. Aber auch die sind ja eigentlich erstmal noch sehr, sehr traditionell. Nämlich eben beschränkt auf PDF vor allem. Das heißt eben, wenn ich eine Dissertation abgebe, dann muss ich dann wohl ein PDF abgeben. Aber ich kann nicht jetzt irgendwie eine Webseite abgeben, die die sich laufend ändert oder so etwas. Das kann dann gar nicht bewertet werden. Das heißt eben, wir brauchen hier schon eine Öffnung des Systems hin zu mehr Akzeptanz von verschiedenen Herangehensweisen und Vermittlungsweisen.

Jens-Martin Loebel: Das heißt, das Medium bietet einem noch viel mehr Möglichkeiten, die wir ausnutzen können und müssen.

Markus Schnöpf: Ja. Wir sagen eigentlich immer, dass wir im digitalen Inkunabel-Zeitalter sind. Also das heißt, nach der Erfindung des Buchdrucks wurden die ersten Drucke noch sehr stark an die Gestaltung von Manuskripten – also von Handschriften – haben sich da daran orientiert. So zeichnen sich auch die Inkunabeln aus. Und so haben wir das eigentlich heutzutage eben auch, dass wir mit den digitalen Publikationen erstmal noch sehr stark das Buch imitieren wollen. Aber eben das löst sich eigentlich gerade. Das waren so jetzt die ersten 20 Jahre, die wieso hatten mit dem digitalen Medium, dass man sich davon so ein bisschen löst.

Langzeitverfügbarkeit von digitalen Forschungsarbeiten

Carolin Hahn: Weil du gerade auch Handschriften ansprachst: Es ist natürlich auch jetzt ein Vorteil von analog vorliegenden Dateien und Dokumenten, dass du halt auch immer noch Bücher und Handschriften lesen kannst die meinetwegen 400–500 Jahre alt sind. Wie ist denn das mit der Langzeitverfügbarkeit von Forschung, die jetzt publiziert wird? Siehst du da ein Problem, wenn du jetzt eine Magisterarbeit, eine Dissertation abgibst – die nur digital verfügbar sein wird vielleicht in zehn Jahren – das dann möglicherweise für zukünftige Generationen die Forschung nicht verfügbar sein wird?

Markus Schnöpf: Ich seh es eigentlich noch ein bisschen problematischer und zwar in einem ganz anderen Bereich: Wenn ich mir angucke, wie wir heutzutage kommunizieren. Dann schreiben wir uns WhatsApp-Nachrichten (oder Telegram oder Signal oder was auch immer). Wir posten eventuell was auf Facebook. Wir machen einen Tweet auf Twitter. Wir schreiben eine E-Mail. Mein E-Mail-Postfach, das ist so ungefähr 20.000 Emails groß und so weiter und so fort. Wenn ich jetzt morgen von der Straßenbahn überfahren werden würde, dann würde, dann würde mein Computer hier neu aufgesetzt werden und alles wäre weg. Das heißt eben, wir leben eigentlich so ein bisschen in so einem dunklen Zeitalter, weil wir uns eben in den letzten 20 Jahren auch um diese E-Mail-Archivierung eigentlich gar keine Gedanken gemacht haben. Das heißt eben für zukünftige Generationen – also 200 Jahre in die Zukunft gedacht – haben wir eigentlich gar nicht miteinander kommuniziert, weil wir gar nichts aufgehoben haben.

Und das ist das Eine eben, dass unsere tägliche digitale Kommunikation nicht aufgehoben wird. Erst so langsam fängt man an sich mit der E-Mail-Archivierung zu befassen. Das hat ja auch rechtliches Umfeld. Also auch Zwang dazu, dass man das auch aufbewahrt. Was jetzt so die wissenschaftliche Arbeit anbelangt, so sehe ich das aber relativ entspannt. Es wird sehr viel verloren gehen, aber das hatten wir auch im Analogen. Also wir haben im Analogen zu viel verloren. Die Politik der Archive mit Kassationen. Also sprich zu bewerten: Das ist aufbewahrenswert. Das ist nicht aufbewahrenswert, das wird also weggeworfen. Das heißt, wir haben eigentlich in der Geschichte ständig mit einem massiven Informationsverlust zu kämpfen. Und deswegen gibt es diese Geschichtswissenschaften, um eben mit diesen Informationsverlust umgehen zu können und eben ihn auch auffüllen zu können, eben Lücken auffüllen zu können und interpolieren zu können, und Geschichten erzählen zu können, die man eigentlich gar nicht mehr weiß.

Und wenn man sich eben z. B. die Literatur im 19. Jahrhundert anguckt – deutsche Literatur – dann gibt es vielleicht noch eine Handvoll Autoren, die allgemein bekannt sind. Aber es gab ja nicht nur diese 50 Autoren im 19. Jahrhundert. Es gab ja hunderte, tausende Autoren. Und das sind alles Sachen, die aus dem Kanon gefallen sind. Die zwar vielleicht noch irgendwo existieren in Bibliotheken. Aber wer macht sich denn die Mühe in einer Bibliothek, mit einem Bestand von 200.000 Bänden, den gesamten Bestand durchzugehen und zu gucken, welches Buch ist denn hier noch nicht behandelt worden – und das dann zu behandeln in einer wissenschaftlichen Arbeit. Insofern sehe ich das relativ pragmatisch. Allerdings muss man auch sagen: Die digitale Langzeitarchivierung ist noch nicht so richtig in den Institutionen angekommen. Es gibt viele Systeme oder manche Systeme, wie man die Daten digital langzeitarchivieren kann, und die funktionieren auch. Aber das tatsächlich die Bibliotheken sozusagen sich so gewandelt haben, dass sie diese digitale Langzeitarchivierung auch aufnehmen in ihren Kanon, das ist noch nicht so geschehen.

Vorteile digitaler Methoden

Jens-Martin Loebel: Das heißt, man wird so ein bisschen ins kalte Wasser geworfen. Es ist immer ein gewisses Risiko, wenn man diese digitalen Methoden einsetzt – hat aber auch viele Vorteile. Gerade, wie du sagst, wenn wir jetzt so viele Daten auf einmal auswerten können mit diesen Algorithmen, mit KI. Was siehst du denn da für spannende neue Anwendungsmöglichkeiten, die wir jetzt nutzen können, durch diese Algorithmen, durch die KIs, die uns 200.000 Texte – die wir sonst gar nicht durchforstet hätten können – irgendwie zugänglich macht?

Markus Schnöpf: Das ist eine Frage, die Gregory Crane, Chair der Humboldt-Professur in Leipzig für Digital Humanities, auch oftmals stellt – und die ich eigentlich immer sehr faszinierend finde: What can you do with a million of books? Also was kann man mit einer Million Bücher machen?

Und das da dann eben, wenn dann die Tools bestehen, um eben aus einer Million von Büchern bestimmte Sachen herauszufinden. Wenn man das denn man kann, dann ist das schon gut. Und das war ja wirklich tatsächlich auch ein Meilenstein wurde dann mit den N-Gramms eigentlich überschritten. N-Gramms funktioniert so, dass man eben eine Masse von Texten nach bestimmten Worten statistisch durchsuchen kann und dann eben auch eine Verteilung bekommt. Das heißt, man kann eigentlich dadurch auch kulturelle Tendenzen herausfinden. Ich mache das immer sehr gerne indem ich z. B. den deutschen Literatur-Korpus, der auf Google Books besteht, von 1800 bis 2000 nach bestimmten Begriffen durchsuche. Das kann man mal machen die man mal nach Zombies guckt, mal nach Dracula guckt und nach Vampiren guckt. Und dann sieht eben, wann eigentlich diese einzelnen bestimmten Tendenzen oder Worte modern wurden und eben auch behandelt worden sind. Und da kann man dann tatsächlich dann auch kulturelle Entwicklungen herausfinden. Und das ist eben eine Sache, die ich sehr sehr faszinierend finde.

Jens-Martin Loebel: Welches Werkzeug oder welches Ergebnis hat dich denn da am meisten beeindruckt?

Markus Schnöpf: Was ich auch so spannend finde, was so ein „Hot Topic“ eigentlich ist, das ist Visualisierungsstrategien. Also wie kann ich Daten visualisieren? Wie kann ich Forschungsergebnisse visualisieren? Gerade auch, was so Netzwerkanalysen anbelangt, die ja sehr modernen sind momentan. Wo man dann tatsächlich eben bestimmte Netzwerke, Wissenschaftsnetzwerke und so weiter und so fort, herausfinden kann. Das finde ich eigentlich auch sehr spannend.

Wir hatten im Digital Classicists Seminar vor vier Wochen einen Vortrag zu Netzwerkanalysen. Da war das so, dass man da ein Netzwerk hatte von ungefähr 200 Personen, die aber dann bei der Präsentation auf eine Fläche von 3 x 2 m geworfen wurde. Das heißt, der Zuschauer konnte eigentlich gar nichts erkennen, weil das alles viel zu klein war. Das heißt eben da müssen wir tatsächlich uns weiterentwickeln und eben auch diese Netzwerke ganz anders darstellen können. Das sind so faszinierende Sachen die mich irgendwie momentan sehr interessieren.

Carolin Hahn: Mit welcher Software ist das gemacht worden? Mit Gephi, oder…? Weisst du das noch?

Markus Schnöpf: Das ist mit Gephi glaube ich gemacht worden, ja.

Jens-Martin Loebel: Die Vermittlung von Forschungsergebnissen rückt also in den Fokus. Und das versucht ihr ja auch mit den Digital Classicists …

Carolin Hahn: Es sind zwei Ebenen wahrscheinlich. Also einmal hast du halt die Wissenschaft. Das heißt, da kannst du große Datenmengen am besten in irgendeinem absolut unschönen Programm herausfiltern und nutzbar machen für die Forschung. Und dann hast du natürlich die Wissensvermittlung, wo du das alles ein bisschen aufhübschen musst – und dann mit großen Datenmengen auch so arbeiten musst, dass es jemand anderes versteht. Oder wie du sagst, dass es jemand anders einfach anschauen kann und weiß: Okay, dass ist das Ergebnis.

Digital Classicists Seminare in Berlin

Jens-Martin Loebel: Genau. Mit den Digital Classicists wollt ihr ja diese Problematik auch angehen – oder diese Fragestellungen. Worum geht’s denn genau bei Digital Classicist?

Markus Schnöpf: Also erstmal muss man erklären, warum wir eigentlich einen englischen Titel haben und keinen deutschen Titel gewählt haben. Man hätte auch sagen auf Deutsch: digitale Altertumswissenschaften oder digitale klassische Wissenschaft oder Klassiker. Das Klassische ist im Deutschen noch mit vielen Bedeutungen behaftet. Wir haben aber uns aber für den englischen Namen entschieden, weil wir ein Ableger sind. Wir sind also gar nicht die Erfinder dieses Seminars, sondern wir sind die Ableger des Seminars vom King’s College in London, was von Gabriel Bodard, einem Epigraphiker, ins Leben gerufen wurde. Und, wie ist immer so ist, weil es hängt halt eben auch immer sehr viel von dem Engagement von einzelnen Personen ab.

Zu der damaligen Zeit war eben auch Matteo Romanello am King’s College gewesen und der ist dann nach Berlin gewechselt. Und da hat sich dann relativ schnell um ihn herum eine Gruppe gebildet von Leuten aus den verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen hier in Berlin, institutionsübergreifend, die eben gesagt haben: Okay, gut. Lass uns das probieren. Wir versuchen jetzt mal hier auch ein Seminar anzubieten, was Themen behandelt, die rund um die Altertumswissenschaften angesiedelt sind – aber eben digitale quantitative Methoden verwenden. Da haben wir dann bestimmte Themen. Und da ist nämlich die die Altertumswissenschaft, was den Bereich der digitalen Geisteswissenschaften und Geschichtswissenschaften anbelangt, eigentlich sehr sehr weit vorne angesiedelt. Wir haben hier sehr viel Themen, die angesiedelt sind zwischen der Altertumswissenschaft und der Archäologie. Zwischen griechischer Geschichte, römischer Geschichte, Maya Geschichte, ägyptische Geschichte und so weiter und so fort. Man kann es vielleicht so ein bisschen bündeln in so bestimmte Themenbereiche. Das eine sind Geoinformationssysteme, die eben in der Archäologie sehr wichtig sind. Dann haben wir 3D-Entwicklungen, z. B. das Pantheon, das daneben per 3D-Daten ausgemessen wurde.

Dann sehr stark eben die Epigraphik. Das ist die Kunde von den Inschriften. Also sehr viele Inschriften aus dem römischen und griechischen Bereich sind auf Stein gemeißelt. Und sehr viel von der römischen und griechischen Geschichte wurde eben über diese Inschriften vermittelt bzw. bewahrt bis heute. Das ist die Epigraphik ganz kurz.

Dann eben die Netzwerkanalyse. Zum Beispiel haben wir in einem Briefkorpus von Cicero Personen erwähnt. Und die können dann eben in verschiedene Netzwerke aufgeteilt werden und analysiert werden, dann auch visualisiert werden. Das sind so die einzelnen Themenbereiche, die wir beim Digital Classicists Seminar eben behandeln.

Jens-Martin Loebel: Wir können ja mal kurz reinhören. Hier ein Ausschnitt aus der Vorlesung von Gregory Gilles vom King’s College London, zum Thema Netzwerkanalyse:

Gregory Gilles (Einspieler):

Social network analysis provides a way of visualising complex social networks and sometimes enables a number of valuable perceptions into their structure and functioning to be discerned. However one of the things with social network analysis is that Harris Cline, who is one of the leading pioneers of social network analysis, made a really important point. That networks are a tool and not the object of analysis. So you don’t just create networks and that’s it. You actually have to use them in your analysis in some way.

Carolin Hahn: Ja Gilles sagt halt, dass die Netzwerkanalyse – und überhaupt digitale Methoden und Tools – Werkzeuge für uns sind und nicht der Untersuchungsgegenstand selbst.

Markus Schnöpf: Was uns wichtig war, weil das ja eben auch Thema eures Podcast ist, war, dass wir eben neben den Fachwissenschaftlern, die also schon tatsächlich drin stecken in den Themen, eben auch immer sehr stark die Studierenden ansprechen. Das heißt eben die Studierenden sensibilisieren für Themen, die in diesem Bereich existieren. Was das Spezifische noch in dem Digital Classicist Seminar anbelangt: Mit „Seminar“ bezeichnen wir im Deutschen eben ein die Studierenden mit einbeziehendes Lehrformat. Im Englischen ist das Seminar eher auch als Vorlesung konzipiert. Das heißt, eigentlich müsste man es eher so ein bisschen mit „Vorlesung“ übersetzen. Stimmt aber auch nicht so ganz, weil aufgebaut ist das Seminar so, dass wir eben tatsächlich eben einen Frontalvortrag haben. Der endet dann nach ungefähr 45 Minuten. Dann ist Raum für Diskussion, wo eben auch alle mitdiskutieren können.

Und dann gibt es noch einen dritten Teil, der eben dann bei Wein, Wasser und Knabbergebäck noch mal zu weiteren interessanten wissenschaftlichen Austauschen führt. Das heißt, da haben wir dann eben noch mal dieses lokale Format, was wir da halt eben auch gewählt haben. Also das heißt eben, wir wollen eigentlich eben auch den Studierenden – aber auch untereinander – uns auf Augenhöhe begegnen. Das Seminar, das gibt es jetzt schon seit 2012 hier in Berlin. Und wir haben pro Seminar – also das findet immer nur im Wintersemester statt – haben wir ungefähr neun bis zehn Termine. Das heißt, wir haben jetzt inzwischen schon im 5. – nein im 6.  Lebensjahr sind wir jetzt schon – knapp 60 Vorträge.

Wir haben immer eine Keynote. Das ist dann so ein besonderer Vortrag. Und dann eben in Anführungszeichen “normale Vorträge”. Das Besondere dann ist auch noch, dass wir die Vorträge aufnehmen. Das heißt wir stellen eben alle Vorträge die wir haben den Nutzern übers Internet zur Verfügung. Die können sich die Filme angucken, die können sich die Folien angucken und eben auch die Abstracts angucken. Für die Studierenden ist es so, wenn sie jetzt neben den Punkten, die sie bekommen für den Besuch des Seminars – also für den passiven Besuch des Seminars – bieten wir den Studierenden an, wenn sie dann zusätzlich noch Punkte erwerben wollen, sollten Sie dann sich ein Thema aus dem laufenden Semester nehmen und daraus dann ein Poster erstellen. Und das wollen wir eben mit den Studierenden üben, dass die Studierenden eben auch in der Lage sind, Poster zu erstellen, die prägnant knackig sind, ansprechend sind und eben auch wahrgenommen werden.

Carolin Hahn: Wann genau finden die Seminare statt?

Markus Schnöpf: Die Seminare finden immer im Wintersemester statt.

Carolin Hahn: Habt ihr denn auch Informatiker drin sitzen im Seminar? Oder was würdest du sagen, welche Fachwissenschaften sind vor allen Dingen vertreten?

Markus Schnöpf: Auch ein paar Informatiker drin sitzen, allerdings nicht die Studierenden. Weil, da müsste man das tatsächlich am Institut für Informatik anbieten, dieses Seminar – und eben nicht bei dem Geschichtswissenschaftlern. Das ist aber jetzt bedingt durch die institutionelle oder universitäre Anbindung.

Jens-Martin Loebel: Das Digital Classicist Seminar ist ja eine Zusammenarbeit von mehreren Instituten. Wie gestaltet sich denn die interdisziplinäre Zusammenarbeit? Was siehst du denn für Stolpersteine?

Markus Schnöpf: Manchmal ist es nicht so einfach. Denn wenn wir uns die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen auch in der Altertumswissenschaft angucken. Wir hatten einen Vortrag, der eben eher von einer Archäologen durchgeführt wurde. Und da war dann ein Altertumswissenschaftler. Und der hat das gar nicht verstanden, was eigentlich das Problem in der Archäologie ist. Also das heißt eben: Schon alleine eben zwischen Altertumswissenschaftler und Archäologen habe ich Kommunikationsschwierigkeiten. Und insofern eben diese Interdisziplinarität – also wenn wir eben bei dem Digital Classicist sagen, wir haben jetzt sowieso schon eine große Menge von Hilfswissenschaften, Wissenschaften die eben da behandelt werden. Dann ist schon allein in diesem kleinen Gebiet, in diesem Orchideenfach sagen wir mal so, ist es schon schwierig, eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu bekommen. Und schwieriger wird es dann tatsächlich eben auch noch mal exponentiell schwieriger, wenn sich dann Geisteswissenschaftler mit Naturwissenschaftlern eben über bestimmte Sachen austauschen. Aber einen größeren Dialog zwischen Natur- und den Geisteswissenschaftlern wäre sicherlich fruchtbar für beide Seiten.

Carolin Hahn: Was ist denn deine Rolle in diesem Digital-Classicists-Seminar? Also was genau machst du da? Organisierst du mit? Konzipierst du das Curriculum mit?

Markus Schnöpf: Es gibt ein Organisationskomitee. Da gehören eben aus verschiedenen Institutionen interessierte Wissenschaftler eben an. Dieses Jahr haben wir eben jemanden von der TU, hier von der BBAW, von der FU, vom jetzt Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, vom Deutschen Archäologischen Institut … Und, das, was wir machen, ist: Wir rufen auf zu Programmeinreichungen – also einen Call for Papers. Und zwar bitten wir dann bis zu einem bestimmten Stichtag um anonymisierte Einreichungen, wo wir also dann nicht wissen – wir als Programmkomitee –, wer eigentlich diese Einreichungen eingereicht hat, also ein Abstract muss da eingereicht werden. So, ich glaub 2.000 Worte oder 2.000 Zeichen, nicht so lang. Und dann setzen wir uns zusammen und lesen uns diese Abstracts durch und bewerten die dann. Und das heißt, wir vergebenen da Punkte – von 0 bis 10 Punkten werden da vergeben – und jeder, der in dem Organisationskomitee oder in dem Programmkomitee drin sitzt, der macht das, mit eben dem jeweiligen wissenschaftlichen Hintergrund. Und dann wird zum Schluss zusammengezählt, wer hat die meisten Punkte. Und die werden dann eingeladen. Und das heißt, die Reise muss organisiert werden.

Es sind meistens eben nicht Berliner Vortragende, sondern tatsächlich weltweit. Also die kommen aus allen Richtungen, nicht ich nur aus Deutschland. Dieses Jahr war die entfernteste Personen reiste aus Kanada an, um uns über sumerische Keilschrifttexte etwas zu erzählen, und zwar wie man die nämlich hacken kann. Ja, und das ist eben die Aufgabe, dass man das Programm erstmal zusammenstellt. Dann, dass man die Reisen organisiert. Übernachtungen müssen organisiert werden. Bei jedem Vortrag muss eben auch eingeführt werden. Das heißt, man muss kurz in die Person vorstellen. Man muss eben auch dann organisieren, dass die Studierenden ihre Postersessions machen können. Das heißt, man braucht dann eben auch für die Vorlesungsverzeichnise braucht man auch noch einen Text und so weiter und so fort. Also das muss alles so gemacht werden.

Zur Zukunft der Digital Classicists

Jens-Martin Loebel: Wie geht es denn mit den Digital Classicists weiter?

Markus Schnöpf: Leider ist es so, dass wir momentan nicht wissen, wie es mit uns weitergeht mit dem Digital Classicist Seminar. Wir hatten bislang eben eine Finanzierung, die durch das Deutsche Archäologische Institut und Topoi gewährleistet wurde, eben um diese Reisen zu organisieren, ne. Also ein Großteil des Geldes geht eben für die Reisen drauf, ein anderer Teil geht für die Videoaufnahmen drauf. Und jetzt ist es so, dass uns die Finanzierung wegbricht. So, das heißt eben ich muss mir jetzt eben überlegen – oder wir müssen uns überlegen: Wollen wir das Seminar noch weiter führen? Können wir das Seminar noch weiter führen? Und wenn wir das noch weiter führen können, dann müssen wir uns auch im Geldgeber suchen. Vielleicht sollten wir es so machen wie ihr, dass wir auf Patreon um Spenden bitten. Das wäre vielleicht eine Idee – müssen wir mal sehen.

Carolin Hahn: Und inhaltlich? Wo siehst du da den Weg? Also, worauf hast du da noch Lust, wo du sagst: Mensch, das Thema hatten wir noch nie, das würde mich super interessieren?

Markus Schnöpf: Na, das grobe Thema ist eben digitale Altertumswissenschaften oder eben Digital Classicists. Aber eben auch, dass man halt eben sich nicht eben auf diese klassischen Altertumswissenschaften – also “Classical Classics” *lachen* – beschränkt. Sondern das man das auch ausweitet.

Also das heißt eben: Wo ziehe ich eigentlich die Epochengrenze von Themen, die ich eigentlich noch behandeln will? Das ist ja auch in der Geschichtswissenschaft nie ganz so klar, wo man eigentlich dann die Epochengrenzen zieht. Aber mir war ganz wichtig, dass man eben auch die arabische Geschichte mit aufnehmen kann. Also dass man sich eben nicht nur auf diesen eurozentristischen Blick auf die Altertumswissenschaften konzentriert, sondern tatsächlich eben auch mehr sich anguckt eben auch südamerikanische Geschichte. Für mich als Koran-Wissenschaftler natürlich auch die Geschichte des Nahen Ostens und die arabische Geschichte und so weiter und so fort. Oder Koran-Geschichte im Allgemeinen.

Carolin Hahn: Es gibt ja eine unglaubliche Themen-Spannbandbreite. Von Cicero bis Maya, hast du ja gesagt, ist quasi alles dabei und du hast auch gesagt, dass die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern zwischen den Disziplinen manchmal ziemlich schwierig ist. Hast du das Gefühl, dass die unterschiedlichen Disziplinen sich dadurch auch befruchten können? Also hast du schon mal erlebt, dass meinetwegen ein Altertumswissenschaftler auf einmal eine Methode aus einer ganz anderen Wissenschaft genommen hat, in dem er halt inspiriert wurde durch Tagungen, durch euer Seminar? Oder ist das eher sowas informatorisches, dass ich halt schaue: Ah, der macht das auch oder der macht das anders. Aber es ist spannend. Aber ich nehme es quasi nicht in meine Forschung auf.

Markus Schnöpf: Doch, das habe ich schon erlebt eben, dass man tatsächlich dann auch in dem Gespräch und im wissenschaftlichen Austausch eben dann auch so: Mensch, das könnte ich eigentlich auch mal verwenden. Und das ist eigentlich eine gute Idee, irgendwie so. Das werde ich auch mal versuchen eben das bei mir in meiner Wissenschaft wenn meiner Fachdomäne eben auch anzuwenden. Also das habe ich schon oft erlebt. Ja, ja, ja.

Wünsche an Digital Humanities und den Nachwuchs

Carolin Hahn: Was wäre denn Dein Wunsch für die Digital Humanities? Wie kann man Nachwuchs noch mehr begeistern für neue Methoden und für digitale Methoden?

Markus Schnöpf: Was ich mir vom wissenschaftlichen Nachwuchs eben wünschen würde, wäre eben die Bewahrung eines kritischen Geistes, die Hinterfragung von Autoritäten und auch von herkömmlichen oder tradierten Überzeugungen. Denn oftmals, wenn man sich das genauer angeguckt, dann sehen die Dinge anders aus im Detail als zu wie sie oberflächlich erstmal scheinen. Und das würde ich mir wünschen, dass eben dieser kritische Geist eben bewahrt wird – und aber auch im Digitalen der kritische Geist. Wir wissen ja alle gerade momentan darum, dass da irgendwas passieren muss. Wir müssen eine Ethik entwickeln, eine Moral entwickeln, eine digitale Moral,  wie wir uns eben dort verhalten. Und nicht umsonst ist ja hier auch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe eingerichtet worden an der BBAW, wo es eben auch um die Beantwortung genau dieser Fragen geht. Das heißt, dass es jetzt momentan tatsächlich auch sehr sehr dringend zu klären und eben auch zu diskutieren. Das würde ich mir wünschen.

Carolin Hahn: Markus, denkst du, dass die DH eher eine Methode bleibt, also das Digital Humanities eher methodisch in den Curricula verankert werden? Oder dass es vielleicht auch in ein paar Jahren ein Extrafach geben wird? Also einen Masterstudiengang, das gibt es schon in Deutschland. Aber dass es auch auf lange Sicht so sein wird, dass es einen Masterstudiengang gibt, der sich nur mit DH-Methoden befasst? Oder ob das dann irgendwann dann doch in die Curricula einfließt als Teil des Fachs?

Markus Schnöpf: Na das ist ja die große spannende Frage, die wir uns hier seit Jahren stellen. Ob die Digital Humanities ein eigenständiges Fach sind oder ob sie eben tatsächlich digitale Methoden in den Literaturwissenschaften etc. genannt werden sollen?

Carolin Hahn: Das Institut für Dokumentologie und Editorik, bei dem du ja auch mitwirkst, schreibt den Satz: “Solange er nicht umziehen wird, der Markus Schnöpf, ist damit zu rechnen, dass er weiterhin mit Computern arbeiten wird.” Wo würdest du denn hin ziehen ohne deinen Computer?

Markus Schnöpf: Auf die Kanarischen Inseln. *Lachen* Ganz klar, da wo Alexander von Humboldt war. Und zwar ganz in die Nähe von Teide, nach Teneriffa.

Carolin Hahn: Und würdest du es vermissen?

Markus Schnöpf: Nein. *CH/JML lachen*.

Tipps für angehende Wissenschaftler

Jens-Martin Loebel: Sehr schön.

Was ist denn das Wichtigste, was du unseren Hörern und Hörerinnen, insbesondere den angehenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit auf den Weg geben möchtest?

Markus Schnöpf: Wenn ihr überlegt, in der Wissenschaft zu bleiben, dann macht euch gefasst auf befristete Arbeitsverträge *JML/CH lachen verständnisvoll zustimmend* – auf eine unsichere Zukunft. Aber irgendwie werdet ihr es immer schaffen, auch weiterhin im wissenschaftlichen System zu bleiben. Das ist zumindest tröstlich. Und lasst euch nicht davon abhalten und konzentriert euch nicht zu sehr nur auf das Digitale, sondern behaltet eben auch die traditionellen Herangehensweisen der Wissenschaft im Auge. Das ist auch ganz wichtig, dass man die nicht aus den Augen verliert. Was natürlich auch noch ganz wichtig ist: Beantwortet die Frage: Was bringt mir diese digitale Wissenschaft eigentlich?

Carolin Hahn: Also nicht blind alles coden. Sondern gucken, was bringt mir das und habe ich überhaupt einen Vorteil davon?

Markus Schnöpf: Genau. Was das Coden anbelangt, erfindet nicht ständig das Rad neu. Sondern guckt auch nach. Vielleicht gibt es ja da draußen ein interessantes Blog ,wo ganz viele Werkzeugkästen verlinkt sind und wo man dann eben auch sich schlau machen kann, was es denn da draußen auf der Welt noch so alles gibt.

Jens-Martin Loebel: Also durchhalten und neugierig bleiben ist, glaube ich, das Wichtigste.

Ja, lieber Markus, vielen vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast für das Interview.

Carolin Hahn: Vielen Dank.

Jens-Martin Loebel: Vielen Dank.

Ausklang

Wir hoffen, ihr hattet genauso viel Spaß beim zuhören, wie wir beim Fragenstellen. Also ich fand es jedenfalls sehr spannend, mal tiefer in die Akademie reinzuschnuppern und mit dem Paternoster zu fahren.

Caro und ich machen das Projekt ja hier privat und unabhängig von unseren Heimat-Unis. Für kleine Spenden, etwa um den Podcast-Server oder besseres Aufnahme-Equipment zu bezahlen – oder uns vielleicht mal wieder ein leckeres Schokoeis zur Motivation zu gönnen – da wären wir euch sehr dankbar.

Carolin Hahn: Wenn euch unser Podcast also gefallen hat, freuen wir uns über eure Unterstützung auf Patreon. Alle Links gibt es auf unserer Webseite digitale-wissenschaft.de. Übrigens, dort könnt ihr auch Feedback geben zu unseren Folgen und kommentieren.

Jens-Martin Loebel: Oh ja, bitte.

Carolin Hahn: Das hilft uns immer. Und falls ihr Lust auf mehr habt, könnt ihr auch einfach unseren Wissensblog besuchen. Hier gibt es Einblicke in ganz konkrete Digital-Tools und unser erster Beitrag dreht sich um das wissenschaftliche Bloggen und Veröffentlichen. In diesem Sinne wünschen wir euch viel Spaß damit und bis zum nächsten Mal.

Jens-Martin Loebel: Tschüss.

Carolin Hahn: Ciao.

 

[♫ Intromusik ertönt ♫]

Volker Davids: Das war Digitale Wissenschaft. Weitere Informationen und Links sowie Diskussionsmöglichkeiten zum Podcast findet ihr auf unserer Webseite digitale-wissenschaft.de. Dort gibt es auch unserem Wissensblog in dem wir über Tools, Software und hilfreiche Methoden der digitalen Forschung informieren. Wenn euch die Sendung gefallen hat, könnt ihr uns gerne auf der Crowdfunding-Plattform patreon.com/digiwissen unterstützen. Unser Titellied lautet Epic Song und ist von BoxCat Games. Wir bedanken uns bei allen Zuhörern und freuen uns schon auf das nächste Mal.

[Intromusik endet]

Spannend? Dann unterstütze uns!
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert