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Karl-Heinz Frommolt, Biologe und Leiter eines der größten Tierstimmenarchive weltweit, gibt Einblicke in seine Arbeit. Ein Gespräch über Wölfe, Kleiber und Nachtigallen. Über die Entwicklung der Tontechnik im digitalen Zeitalter. Über die Naturblick-App des Naturkundemuseums und aktuelle Studienmöglichkeiten.
Kapitelmarken
Begrüßung
Mikrofon & Grammophon – Geschichte der Tonbandaufnahmen
Expedition nach Russland: Den Wölfen lauschend
Entwicklung aktueller Sensorik
Zwitschern alle Vögel gleich?“
Eigeninitiative gefragt! Forschungsfeld / Studium Bioakustik
Digitale Methoden in der Bioakustik
Naturblick: Automatische Artbestimmung via App
Zukunftsmusik und Anschlussprojekte des Tierstimmenarchivs
Nutzbarkeit von Daten als Qualitätskriterium eines guten Archivs
Tipps und Wünsche an den Nachwuchs
Verabschiedung
Digitale Wissenschaft
Folge: #2 – Ein Besuch bei Karl-Heinz Frommolt, Tierstimmenarchiv, Naturkundemusem Berlin
Podcast vom: 31.05.2018
Moderatoren: Jens-Martin Loebel, Carolin Hahn
Interviewgast: Karl-Heinz Frommolt
Bitte beachte: Das Transkript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
[♫ Intromusik ertönt ♫]
Volker Davids: Digitale Wissenschaft. Forschung verändert sich. Wir erklären, wie.
Ein Podcast über Wissenschaft im Digitalzeitalter. Mit spannenden Interviews, Praxistipps und Forschungsprojekten von Archäologie bis Zellbiologie. Für die Forscher von heute und die KIs von morgen. Mit Jens-Martin Loebel und Carolin Hahn.
[Intromusik endet]
Begrüßung
Carolin Hahn: Hallo!
Jens-Martin Loebel: Hi!
Carolin Hahn: Schön, dass ihr wieder eingeschaltet habt. Wir beleuchten, wie digitale Methoden die Forschung revolutionieren. Heute machen wir einen Ausflug in die Naturwissenschaften – genauer gesagt die Bioakustik. Die Disziplin erforscht die Kommunikation zwischen Tieren.
Jens-Martin Loebel: Genau. Seit Jahrzehnten gehen Biologen und Verhaltensforscher hinaus in die Natur, führen Experimente durch – aber beobachten auch. Nehmen z. B. die Stimmen von allen möglichen Lebewesen auf. Vom Vogelgezwitscher bis hin zur Warnrufen von Wildtieren. Mit der Entwicklung der Tonträger und Mikrofone haben sich natürlich auch die wissenschaftlichen Aufnahmemethoden und Analyseverfahren weiterentwickelt.
Carolin Hahn: Heute können sogar Hobby-Wissenschaftler zur Forschung beitragen indem sie mit ihrem Smartphone Tierstimmen aufnehmen. Aber was genau es mit der Bioakustik auf sich hat erklärt uns Karl-Heinz Frommolt, der Leiter eines der größten Tierstimmenarchive der Welt.
Jens-Martin Loebel: Wir sind dazu ins Naturkundemuseum Berlin gegangen, wo sich das Archiv seit vielen Jahren befindet. Ja, dort kann man richtig fühlen, wie viel Geschichte in diesem Wänden steckt. Ja und in der Aufnahme sogar ein bisschen hören, denn leider hallt es etwas und wir konnten auch nicht so laut sein. Das tut uns leid, ich hoffe ihr seht uns das nach. Dafür erwarten euch sehr spannende Geschichten und viel viel Praxiswissen.
Jens-Martin Loebel: Ja, lieber Herr Frommolt, vielen Dank, dass sie sich Zeit genommen haben für uns heute. Wir sind ja hier im Tierstimmenarchiv. Was ist denn das Tierstimmenarchiv im Naturkundemuseum? Was hat es damit auf sich? Wie lange gibt es das schon?
Mikrofon & Grammophon – Geschichte der Tonbandaufnahmen
Karl-Heinz Frommolt: Ja das Tierstimmenarchiv ist eine Sammlung von Tierstimmen. Also von Tonaufnahmen, von Lautäußerungen von Tieren. Die Sammlung, die wir hier haben ist weltweit eine der ältesten, wurde 1951 von Günter Tembrock begründet. Und, ja, 1951… Also die Zeit ist nicht ganz zufällig. Also zum einen hängt das natürlich auch mit der Technologieentwicklung zusammen. Die ersten Tierstimmen-Aufnahmen sind natürlich bedeutend älter. Also seitdem es Aufnahmeverfahren gibt hat man auch Tierstimmen aufgenommen. Da gab es dann so verschiedene Etappen.
Bei den ersten, bei den ältesten Generation so um die Jahrhundertwende 18.-19. Jahrhundert schon. So um 1900 noch etwas da ging’s schon los. Da war allerdings das große Manko, dass der Frequenzbereich gar nicht abgebildet werden konnte. Edison konnte Sprache übertragen aber den Vogelgesang den konnte er nicht übertragen. Das erste waren wirklich dann auch die Wachswalzen gewesen. Und da musste man dann auch in so einen Zylinder reinsprechen. Also dann auch bei den Grammophonen und auch die alte Grammophontechnik, die hatte noch starke Beschränkungen hinsichtlich des Frequenzbereichs. Also oberhalb 4 Kilohertz war da kaum etwas da. Also man hört’s ja auch wenn man jetzt die menschliche Sprache sich anhörte, die auf den Grammophon-Aufnahmen – da ist es alles relativ dumpf.
Also es liegt nicht daran, dass die Aufnahmen zu alt sind, sondern das Aufnahmeverfahren gab nichts anderes her. Und eigentlich war eine Revolution in der Aufzeichnungstechnik so in den 30er Jahren. Die Mikrofontechnik wurde entwickelt. Also mit der Entwicklung von elektrischen Mikrofonen wurde der Frequenzbereich deutlich erweitert und eigentlich kann man sagen verwertbarer auswertbare Tierstimmen-Aufnahmen und insbesondere Vogelaufnahmen gibt es erst seit den 30er Jahren. Und einige der ältesten Aufnahmen sind dann die Ludwig Koch in den 30er Jahren hier im Berliner Raum gemacht hatte. Diese Aufnahmen wurden dann auch auf Schellackplatten gepresst. Da kann man wirklich sagen: Ja, mit diesen Aufnahmen können wir wirklich noch arbeiten und die entsprechen eigentlich voll den Erfordernissen der aktuellen Analysetechnik.
Jens-Martin Loebel: Toll!
Carolin Hahn: Toll, dass man das auch so gut vergleichen kann, dann über die Jahrzehnte…
Karl-Heinz Frommolt: …Und und und wir haben auch diese Grammophon-Aufnahme von Ludwig Koch da. In den 30er Jahren wurde auch im schwedischen Radio eine ziemlich umfangreiche Sammlung von Tierstimmen auf Schellackplatten herausgebracht. Das war ja noch verrückter gewesen. Da wurden die Aufnahmen auch erstmal über die Funkleitung des Radios zum Studio übertragen, wo es dann auf die Platte gepresst wurde.
Carolin Hahn: Aber 1987 haben sie dann die Archivleitung übernommen?
Karl-Heinz Frommolt: Ja.
Carolin Hahn: Über 30 Jahre sind sie jetzt Archivleiter des Tierstimmenarchivs.
Karl-Heinz Frommolt: Damals hieß das zwar noch nicht ganz so…
Carolin Hahn: Wie hieß es?
Karl-Heinz Frommolt: …Da war ich ganz einfach ein wissenschaftlicher Mitarbeiter. War aber mit der Betreuung des Tierstimmenarchivs dann beauftragt.
Jens-Martin Loebel: Wie haben sie ihren Weg zum Archiv gefunden? Also was hat sie dahin geführt?
Karl-Heinz Frommolt: Ich habe schon ziemlich früh als Ornitologe angefangen. In meiner Jugend war ich als Hobby-Ornitologe aktiv gewesen und das war eigentlich eine Phase von der ich eigentlich auch jetzt noch profitiere. Also das war dann die Zeit, wo ich mich auch intensiv mit den Vogelstimmen auseinandergesetzt hatte und wo ich dann die Arten kennengelernt hatte. Während des Studiums da war es noch gar nicht mal so sicher, dass es in Richtung Akustik geht. Also mein Interesse war schon etwas Naturschutz-relevantes zu machen.
Die Bioakustik hat sich dann relativ zufällig ergeben. Also ich hatte im Ausland studiert, in Moldavien. Und da hat natürlich auch die Mangelwirtschaft noch ein bisschen dazu beigetragen. Ursprüngliche sollte ich eigentlich eine Studie zur Ökologie des Maulwurfs machen. Hatte mir dann auch richtig Gedanken gemacht, wie man dann auf die Tiere markieren kann, welche Methoden es dann gibt. Und dann kam ich dann nach den Ferien wieder zurück und dann meinte mein Professor zu mir: Ja, geht leider nicht. Wir kommen an keine Maulwurffallen ran. Aber er hätte jetzt einen Doktoranden, der Verhaltensstudien an Tieren im Zoo macht und ich sollte ihn doch ein bisschen unterstützen. Und da habe ich dann als ein Arbeitsthema für so eine simple Belegarbeit den Titel bekommen: “Akustisches und demonstratives Verhalten von Huftieren und Raubtieren im Zoo”
Carolin Hahn: Akustisches und demonstratives Verhalten…aha.
Karl-Heinz Frommolt: Das ist ein Thema, dass eigentlich schon für eine Habil-Arbeit zu viel wäre. Und das war sozusagen einen Stadium noch weit vor der Diplomarbeit, also was heutzutage die Masterarbeit wäre. Er drückte mir dann ein riesiges Tonbandgeräte in die Hand. War ein bisschen leichter als das da oben. *lacht* Aber trotzdem noch ein richtiges großes Spulengerät, netzbetrieben. Und da sollte ich mich dann zum Zoo machen und dann mal versuchen was man da machen kann.
Carolin Hahn: Also so ungefähr: Was will die Kuh mit ihrem muhen erreichen?
Karl-Heinz Frommolt: Welche Laute geben die Tiere von sich und welche Funktion haben die Laute? Und eben nicht nur die Lautäußerungen sondern auch die ganze Mimik und die Bewegung. Ja ich kam dann im Zoo an, hab erstmal das Tonbandgerät ausprobiert da. Mit den üblichen Kinderkrankheiten, dass der Empfang nicht ganz sauber war. Bei den alten Geräten hat man ja dann oft auch die Radiosender mit drin. Mit all den Problemen musste dann gekämpft werden und als ich dann angefangen hatte, hatten gerade die Wölfe Junge gehabt und dann bin ich dann sozusagen „kleben“ geblieben. Und da hatte ich mir dann gesagt: Okay, jetzt nicht in die Breite gehen sondern auf etwas konzentrieren. Und dadurch bin ich dann wirklich an der Akustik hängen geblieben und hatte dann auch später meine Diplomarbeit zu dem Thema gemacht.
Expedition nach Russland: Den Wölfen lauschend
Jens-Martin Loebel: Sie sind also direkt dann hängengeblieben und die Liebe – ja nicht entdeckt – sondern verstärkt eher.
Karl-Heinz Frommolt: Ja, aber eben auf einem ganz anderen Bereich. Also ich hatte… war früher ornithologisch tätig gewesen und dann ging es in die Säugetieren rein. Also die nächste Etappe war dann mit die Promotion gewesen, Ich hatte in Moskau promoviert. Wir hatten da in Moskau dann mit die gute Situation, dass es direkt an der Moskauer Uni eine Gruppe Wölfe gab, dann mit der ich dann auch arbeiten konnte. dann hatten wir auch noch zwei Expedition gemacht, so dass es auch noch Freiland-Untersuchungen gemacht werden konnten und mit damit passte das.
Jens-Martin Loebel: Es ist ja auch eine sehr spezielle und sehr lange Ausbildung, die sie da durchlaufen haben. Mit sehr viel Fachwissen, was man sich ja nur praktisch aneignen kann.
Karl-Heinz Frommolt: Ja, also da muss man eigentlich ja dazu sagen, also das meiste wird nicht im Studium vermittelt und da muss man sich eigentlich sehr viel selbst beibringen. Da ist die Akustik selbst war zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht Bestandteil des Biologiestudiums gewesen. Das meiste musste ich mir autodidaktisch aneignen. Und da kam mir eigentlich auch sehr entgegen, dass mein Moskauer Betreuer dann auch ziemlich rigoros war. Also meinte, ja guck mal hier hast du das Gerät. Hier ist die Bedienungsanleitung dazu. Und nun kämpf dich mal durch. Und das ist wirklich in meinen Augen das Sinnvollste. Dann versteht man auch, was man da gemacht hat.
Carolin Hahn: Was jetzt natürlich bei Tieren wie Wölfen jetzt auch nicht ganz ungefährlich ist. Wenn man da an der Wolga auf Wolfssuche geht. War das nicht auch gefährlich? Oder sind die so scheu, dass sie eigentlich Menschen nicht angreifen?
Karl-Heinz Frommolt: Die Wölfe werden einen Menschen nicht angreifen. Es gibt ganz wenige Fälle, wo wirklich also mal was vorgekommen ist. In freier Wildbahn wäre das die absolute Ausnahme. Also die meiden eher den Menschen und wir waren froh gewesen, dass wir überhaupt mal ein Wolf zu Gesicht bekommen hatten. Wobei eben das Sehen für uns nicht das Vorrangige war, sondern wirklich die Tiere hören und auch aufnehmen. Und auch da hatten wir im Prinzip das Problem gehabt, dass uns in der Regel die ersten Sekunden bei der Aufnahme verloren gegangen waren – mit wenigen Ausnahmen muss man sagen. Also die wenigen Ausnahmen waren die gewesen wo wir dann auch selbst mal die Tiere zum Heulen provoziert hatten durch eigene Heulimitationen.
Und dann gab es eine Aufnahme, wo wir richtig Glück hatten. Als dann eine Wölfin mit ihren Welpen auf uns zukam bis auf 20 m Entfernung und so eine kurze Reihe von Warnlauten von sich gegeben hatten. Und da hat man natürlich das Tier gesehen. Da war gerade mein Betreuer an der Technik gewesen. Der hatte auch rechtzeitig drauf gedrückt und dann… Ja das andere Problem bei Spulenbändern ist, die sind nicht unendlich. Da war es wirklich so gewesen: Zwei Sekunden nachdem das Tier aufgehört hatte zu rufen war das Band alle gewesen.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *lachen erstaunt freudig*
Karl-Heinz Frommolt: Wir hatten wirklich die Sequenz noch komplett drauf.
Jens-Martin Loebel: Ist die Aufnahme heute im Archiv hier?
Karl-Heinz Frommolt: Die ist im Archiv, ja.
Carolin Hahn: Da können wir ja kurz mal reinhören…
[♫ Aufnahme Warnlaute der Wölfe & Aufnahme Heulimitation mitWolfsantwort]
Jens-Martin Loebel: Haben sie denn eine Lieblingsaufnahme oder ein Sammlungsgut wo sie besonders stolz drauf sind?
Karl-Heinz Frommolt: Also eigentlich freue ich mich über jede Aufnahme. Aber emotional gibt’s natürlich zum einen diese erste Feldaufnahme, wo ich dann auch wirklich richtig ein Chorheulen von Wölfen drauf hat und auch die Aufnahmequalität ist auch erstaunlich gut noch.
Carolin Hahn: Es war ein gutes Omen.
Karl-Heinz Frommolt: Ja, also… *lacht* … Das war auch die erste richtige Feldexpedition gewesen. Und mit dieser Aufnahme gab’s natürlich dann auch so die Situation, dass es etwas verzweifelnd für meinen Betreuer war, der da mit war. Wir hatten uns ja immer dann in der Nacht die Schicht geteilt. Das erst der Eine zwei Stunden und dann der Nächste. Wir sind dann immer so gewechselt. Aber nicht so, dass jemand kontinuierlich so – es waren immer vier Stunden gewesen – das jemand die ersten vier und der andere die nächsten vier kontinuierlich hat. Sondern immer so mal der eine erste und mal der andere die zweite. Und dann war plötzlich eine Phase da gewesen, wo mein Betreuer Herr Nikolsky kam und meinte: Ja, nichts los.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *schmunzeln*
Karl-Heinz Frommolt: Ich komme: Ja, ich habe zwei Chorheulen aufgenommen. Die nächste Nacht getauscht. Ja, ich hatte die erste Schicht, habe schon was aufgenommen. Er hat die zweite Schicht: Nichts. Und das war dann irgendwie verteufelt gewesen, dass ausgerechnet die Tiere nur dann aktiv waren als ich am Geräte war.
Entwicklung aktueller Sensorik
Jens-Martin Loebel: Und da habe ich mich immer gefragt: Gibt es schon Bestrebungen sowas, das irgendwie mit einem Mini-Computer zu verbinden? Das der irgendwie das steuern kann, wenn er irgendwie ein Signal entdeckt oder mit verschiedenen Sensoren arbeitet. Oder ist das rein so zeitgesteuerte Aufnahme erstmal?
Karl-Heinz Frommolt: Also, dass man das mit dem Computer verbindet das gibt’s eigentlich schon lange. Das ist dann die Aufnahme auch Signal-gesteuert ausgelöst wird. Das ist eigentlich das Verfahren, das insbesondere bei Fledermäusen eingesetzt wird. Also bei Fledermäusen ist ja relativ einfach. Die funken ja sozusagen in einem Bereich wo sonst Funkstille ist, wenn man jetzt mal von einigen Heuschreckenarten absieht, die auch in den Ultraschallbereich gehen. Bei den Fledermäusen ist es eben relativ einfach jetzt ein Algorithmus zu bauen, der sagt: Ja, jetzt ist ein Fledermaus-Ruf da, den zeichne ich auf. Die digitale Aufzeichnungsverfahren haben ja auch noch einen großen Vorteil, dass man also sozusagen erstmal in Schleife aufzeichnen kann. Das sogenanntes pre-recording erfolgt, das sozusagen ein paar Sekunden bevor man eigentlich auf die Aufnahme drückt dann schon aufgezeichnet wird. Und das gleiche wird dann bei solchen automatischen Erkennungen gemacht, dass dann aufgezeichnet wird – nicht sobald das Signal erkannt wurde – sondern so 2-3 Sekunden vorher. Und dann geht wirklich nichts verloren.
Carolin Hahn: Das heißt der buffert wahrscheinlich permanent immer so ein bisschen.
Karl-Heinz Frommolt: Genau. Genau.
Jens-Martin Loebel: Und wenn es relevant ist, dann hebt der das dann auf.
Karl-Heinz Frommolt: Ja. Und das ist eigentlich auch ein ganz entscheidender Vorteil von Digitaltechnik gegenüber Analogtechnik. Bei Analogtechnik gab’s ja auch schon solche Einrichtung, dass gesagt wird: Ja sobald eben ein bestimmtes Signal da ist, sobald in einem bestimmten Frequenzbereichen eine Schwelle überschritten wird, dann fängt man an mit Aufzeichnung. Das wurde schon in den 60er Jahren für Laboruntersuchungen eingesetzt. Tempomat oder so ähnlich hieß da ein extra Gerät für. Die Uher-Geräte… aber der Nachteil war eben, dass dann immer die ersten Silben verloren ging – der Anfang fehlt. Und das war dann auch früher die Herausforderungen wenn man Feldaufnahmen gemacht hatte und vielleicht Vogelgesang aufgenommen hatte. Wenn man gut war hatte man es im Gefühl, wann der Vogel anfängt zu singen und drückt schon paar Sekunden eher drauf, so dass man da wirklich die komplette Sequenz drauf hatte. In der Regel war es aber so, dass der Anfang verloren ging. Und jetzt kann man eigentlich da mit dem Rekorder stehen und sobald der Vogel anfängt zu singen, dann drückt man auf die Aufnahmetaste. Und dann hat man auch wirklich die komplette Strophe drauf.
Jens-Martin Loebel: Früher brauchte man ganz viel Intuition und Sachverstand. Zumindest jetzt…
Karl-Heinz Frommolt: Ja, und der andere Punkt ist natürlich…
Carolin Hahn: Und gute Augen natürlich. Ob der Vogel jetzt da sitzt oder nicht… *lacht*
Karl-Heinz Frommolt: Heutzutage ist ja auch noch der andere Aspekt, dass man keine Rücksicht mehr auf die Länge der Aufnahme zu nehmen brauchte. Also die Speichermedien sind quasi unbeschränkt. Also wenn man jetzt vielleicht das Mikrofon noch per Hand hält. Ich möchte denjenigen sehen, der eine Stunde lang ruhig das Mikrofon hält.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *lachen*
Carolin Hahn: Haben sie eigene Server hier im Naturkundemuseum?
Karl-Heinz Frommolt: Wir haben eigene Server, ja. Das was wir hier ein Tierstimmen haben ist auch alles auf unseren Server. Da auch entsprechend im Backup-System drin.
Zwitschern alle Vögel gleich?
Carolin Hahn: Wie ist es denn, haben Sie das Gefühl, dass sie schon einzelne Charaktere auch heraus hören können aus den Aufnahmen oder klingt eine Amsel eine Amsel und ein Wolf ein Wolf? Oder gibt’s da auch tatsächlich persönlichen Nuancen ?
Karl-Heinz Frommolt: Es gibt auf jeden Fall individuelle Merkmale bei den Tierstimmen. Also einige Nuancen hört man dann auch ziemlich klar raus. Es gibt dann schon einige Tiere, individuelle Tiere, die vielleicht so ein bisschen schief singen und die ein bisschen eigenartig klingen und auch heiser klingen. Interessanterweise ist es teilweise auch so, dass das Phasen sind. Also wir hatten mal dann ’99 eine Freiland-Untersuchung an Polarfüchsen gemacht, wo wir auch das Glück hatten, an individuell markierten Tiere zu arbeiten. Also die russischen Kollegen hatten da die Tiere in den Jahren davor und auch immer wieder kontinuierlich mit Ohrmarken versehen, so dass man sie auseinander halten konnte. Mit der Zeit hat man dann auch gelernt die Tiere so eine Stimme auseinanderzuhalten. Und dann war ein Tier gewesen das dann plötzlich ganz anders klang. So ungefähr als wäre es heiser gewesen. Das hielt auch eine Weile an und dann ging sie wieder zurück.
Also muss man da auch ein bisschen vorsichtig sein. Also auch die individuelle Stimme kann sich ändern. Es gibt schon in der Regel Merkmale woran man ein Tier erkennen kann. Also eine Tierart mit der ich auch im letzten Jahr ganz intensiv gearbeitet haben ist er der Wachtelkönig. Und den kann man auch an akustischen Eigenschaften recht gut individuell erkennen. Und da gibt es eine umfassende Studie von polnischen Kollegen, die ja vor allem auch der Individual-Charakteristik bei den Tieren gewidmet hatten und sich auf die Frage gestellt haben: Können wir denn auf der Grundlage bestimmen, wie viele Tiere das sind? Die auch dann zu dem Schluss kommen wenn man eine große Masse hat, dann kommt es doch vor, dass man einzelne Tiere nicht mehr auseinanderhalten kann. Geht dem Menschen ja genau. Das die Klangfarbe von zwei Menschen, die sehr ähnlich ist und man die vielleicht doch nicht so leicht auseinanderhalten kann. Warum sollte das im Tierreich anders sein.
Eigeninitiative gefragt! Forschungsfeld / Studium Bioakustik
Jens-Martin Loebel: Haben vorhin gesagt, sie mussten sich sehr viel – also auch weil ihr Betreuer sie da so ins kalte Wasser geworfen hat – was ne gute Sache ist wahrscheinlich. Sie mussten sich sehr viel selbst beibringen, weil das in den Lehrplänen noch gar nicht verankert ist. Wie sieht es denn heutzutage aus?
Karl-Heinz Frommolt: Na heutzutage ist die Bioakustik eigentlich auch in den Lehrplänen so ein Randwissen. Also, wer in die Richtung geht, der muss er sich dann auch sehr stark individuell beschäftigen.
Jens-Martin Loebel: Also man muss nach wie vor sich sozusagen selber die Initiative aufbringen, und…
Karl-Heinz Frommolt: Ja, also insbesondere mit den neuen Lehrplänen, die doch ziemlich streng zugeschnitten sind. In der Endphase des Diplom-Studiums waren da doch ein paar mehr Freiheiten gewesen hat das mehr fakultative Lehrveranstaltungen angeboten werden konnten. Also gewisse Lehrinhalte zur Bioakustik werde natürlich auch vermittelt, aber umfassend das rüberzubringen ist einfach unmöglich. Es gibt natürlich auch danach die Möglichkeit über Qualifikationsarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten da reinzukommen. Und ich denke auch jetzt liegt schon sehr viel daran, dass wenn man als Student das machen will, dass man Eigeninitiative ergreifen muss und gerade für die akustischen Grundlagen bleibt im Lehrplan nicht genügend Platz.
Carolin Hahn: Und ist das an anderen Unis bzw. in anderen Ländern anders? Gibt es irgendwo ne Universität, die darauf spezialisiert ist? Oder eine Fakultät?
Karl-Heinz Frommolt: Es gibt natürlich an vielen Orten Arbeitsgruppen, die akustisch arbeiten. Aber richtig tiefgreifend im Lehrplan wird es wohl nirgends verankert sein.
Jens-Martin Loebel: Gibt es irgend ein Material oder eine Anlaufstelle oder irgendwas – vielleicht sogar im Netz – wo sie sagen, das ist ein guter Startpunkt oder da gibt’s viele Infos? Sie möchten etwas über Bioakustik wissen? Da gibt es dieses eine Buch, das ist fantastisch.
Karl-Heinz Frommolt: Gute Frage.
Jens-Martin Loebel: *lacht*
Karl-Heinz Frommolt: Es gibt eigentlich ein Buch was ich eigentlich sehr fantastisch finde – aber das schon etwas älter. Und leider ist eben nur die erste Auflage also gut. Das ist das Buch von Bradbury und Vehrencamp „Principles of Animal Communication“, wo sowohl eigentlich mit die verschiedensten Kommunikationsformen sehr übersichtlich dargestellt sind in einer verständlichen Weise. Die zweite Fassung des Buches ist leider nicht mehr so umfangreich und hat in meinen Augen leider etwas an Qualität verloren.
Jens-Martin Loebel: Gibt’s sonst noch irgendeinen Tipp wo sie sagen: Wenn ich mich jetzt damit beschäftige, so kann ich loslegen. Mir einfach einen Rekorder kaufen. Oder mit meinem Handy irgendwas aufnehmen.
Karl-Heinz Frommolt: Das mit dem Handy muss man erstmal vorsichtig sein weil in der Regel die Software die da mitgeliefert wird, also die Apps nicht so geeignet sind, um jetzt Tierstimmen aufzunehmen. Das, was man auf dem Handy drauf hat in der Regel Voice Recorder und die sind auf die menschliche Sprache ausgelegt. Das heißt wir haben da einen Frequenzbereich bis 4 Kilohertz. Die sind nunmal auch daraufhin optimiert, dass möglichst wenig Speicherplatz benötigt wird. Also, man die Nachricht gegebenenfalls auch versenden kann. Hohe Aufnahmequalität heißt, das mehr Speicherplatz benötigt wird und wenn man das dann per Handy versenden will dauert das dann doch ein bisschen. Und vor allen Dingen das Handy hat nicht unendlich viel Speicherplatz. Wenn man das Handy als Aufnahmegerät nehmen will, dann bräuchte man schon eine Apple, die das unkomprimiert aufzeichnet oder zumindest in einem komprimierten Format mit einer geringen Komprimierungsrate. Wobei generell wir komprimierte Aufnahmen nicht mögen.
Carolin Hahn: Es geht zu viel verloren.
Karl-Heinz Frommolt: Es geht eine Menge verloren.
Digitale Methoden in der Bioakustik
Carolin Hahn: Welche Digitalmethoden nutzen sie jetzt, die sie für die Aufnahme der Wölfe in Russland nicht benutzt haben? Gibt es eine bestimmte Software, die sie jetzt verwenden? Gibt es wahrscheinlich viel viel kleinere Geräte? Oder wie würden sie jetzt ihre Arbeit in Differenz zu der Arbeit von vor 30 Jahren beschreiben?
Karl-Heinz Frommolt: 30 Jahre ist der richtige Zeitpunkt. Um so ungefähr 1990 ging es los mit der Digitaltechnik. Also in den 90er Jahren kamen die DAT-Rekorder auf. Das war ja ein digitales Aufzeichnungsformat auf Magnetband. Und, ja ungefähr zehn Jahre später haben wir dann wirklich hochwertige digitale Aufzeichnungsgeräte. Also wo man es dann auch direkt auf Speicherkarten aufzeichnen konnte und nicht mehr auf die DAT-Bänder. Und das war schon eher. Das war schon Mitte der 90er Jahre. Es ging dann wirklich sehr rasant, also das war so eine richtige Revolution gewesen. Also ein Punkt war natürlich erstmal, dass die Geräte kleiner und leichter wurden und nicht mehr so schwer.
Das war zwar mit Kassettengeräten mit analogen Kassettengeräten auch schon mal gegeben. Der Nachteil von den analogen Kassettengeräten war das die Aufnahmequalität nicht so gut war, wie beim Spulentonbandgerät und, dass man die Bänder nicht so gut schneiden konnte. Also Schnürsenkel- sogenannten Schnürsenkelbänder, die großen Spulenbänder konnte man richtig auch physisch schneiden, dass man da wirklich mit der Schere rangegangen ist und die relevanten Stille dana raus geschnitten hat und dann zusammen geklebt hat. Das ging dann mit der Kassette nicht. Das ist natürlich erstmal der große Vorteil, den man jetzt mit der Digitaltechnik hat, dass man alles als eine Datei aufzeichnen kann, die man dann nicht mehr physikalisch schneiden musste. Sonder,n dass man sich dann ganz einfach die Sequenzen heraussuchen kann und dann ablegen kann. Wenn wir uns mal den kurzen Exkurs erlauben, was da alles passiert ist.
Das also um 1990, ohne, dass ich mich jetzt wirklich ganz genau auf die Jahreszahl festzulegen möchte. Ziemlich zeitgleich mit den DAT-Rekordern hatte Sony den MiniDisc-Recorder entwickelt, wo mit einem komprimierten Verfahren aufgezeichnet wurde auf dem kleine Scheib. Hatte natürlich auch den großen Vorteil, dass erstmal der Speicherplatz erweitert wurde, dass man sehr lange aufzeichnen konnte. Nachteil von diesem Verfahren war, dass das eine Komprimierung war und das Sony dieses Verfahren top secret gehalten hatte, so das dann eigentlich keiner so vernünftig damit arbeiten konnte. Also wenn man da dann den Aufnahmen arbeiten wollte und die analysieren wollte, dann musste man wieder den Analogausgang dieser MiniDisc-Rekorder nutzen. Also die MiniDisc-Rekorder waren auch nicht gerade sehr robust gewesen. Also MiniDisc-Rekorder und DAT-Rekorder, es waren die ersten digitalen Geräte.
Und dann kam auch ziemlich schnell dann diese Solid Disk Recorder, also das dann direkt auf erstmal auf Festplatte oder auf verschiedene Speichermedien geschrieben werden konnte und das dann die Aufnahme in der Regel als WAV-Datei abgelegte werden konnten. Der Nachteil von den Recorder war, dass die zu der Zeit noch sehr sehr teuer waren und eigentlich im Consumerbereich nicht ankamen. Im Consumerbereich hatten sich da erstmal die MiniDisc-Rekorder durchgesetzt, bis dann das MP3-Verfahren entwickelt wurde.
Und mit dem MP3-Verfahren hatte man dann doch die Möglichkeit auf kleine Speicher sehr viele Informationen zu übertragen. Aber das war dann auch verlustbehaftet. Verlustbehaftet, aber das Verfahren war frei zugänglich. Das er war der große Vorteil jetzt davon MP3 und das MP3-Verfahren hat dann wahrscheinlich auch dem MiniDisc-Rekorder ein bisschen das Genick gebrochen. Also MiniDisc-Rekorder gibt’s ja heutzutage überhaupt nicht mehr. Die Weiterentwicklung war, das die Aufnahmegeräte immer kleiner wurden und die Speicherkarten physisch gesehen erstmal kleiner werden aber von der Speicherkapazität immer größer. Also mittlerweile gibt es SD-Karten auf die man 512 GB aufnehmen kann. Also da kann zum Teil wirklich schon tagelang schon aufzeichnen ohne Unterbrechungen. Also da gab’s da gibt es keine Begrenzung mehr. Und natürlich der andere Punkt ist, dass die Rekorder als sehr sehr klein geworden sind. Also es das zumindest sehr kleiner Rekorder gibt, die mit einer vernünftigen Qualität aufzeichnen.
Jens-Martin Loebel: Was wird denn jetzt dadurch möglich? Also was für neue Anwendungen, also wenn wir jetzt tagelang aufzeichnen können, und den Rekorder dann überall quasi verstecken können in der Natur?
Karl-Heinz Frommolt: Also auf jeden Fall kann man erstmal kontinuierlich erfassen und es bieten sich jetzt eigentlich auch mal Möglichkeiten an, um akustische Methoden auch direkt zur Erfassung von Vogelbeständen oder auf anderen Laut-gebenden Tieren einzusetzen. Das war vorher praktisch nicht möglich gewesen. Also die Versuche dafür sind eigentlich sehr alt. Also sehr alt sind z. B. die Versuche, den Vogelzug auf akustischen Wege zu erfassen. Das geht schon auf die 50er Jahre zurück, als man dann wirklich mit Spulentonbandgerät erstmal aufgezeichnet hatte. Da auch so die Kinderkrankheiten durchlaufen hatte, das zu Anfangs man gedacht hatte: So wir nehmen jetzt eine große Spule, lassen und diese mit einer entsprechenden langsam Geschwindigkeit laufen damit dann wirklich die ganze Nacht erfasst werden konnte. Das man dann feststellte, ja ist doch nicht so das Gelbe vom Ei, weil die Aufnahmequalität durch die langsame Geschwindigkeit bedeutend schlechter war. Und da hat man das dann doch lieber so gemacht, lieber stundenweise erfasst und mit höherer und besserer Aufnahmequalität.
Jens-Martin Loebel: Sozusagen die Technik ist jetzt endlich da, soweit diese Fragen zu beantworten, die man schon lange hat.
Karl-Heinz Frommolt: Ja.
Jens-Martin Loebel: Ist das dieses bioakustische Monitoring?
Karl-Heinz Frommolt: Das ist dieses bioakustische Monitoring. Auf jeden Fall ist man so weiter dass man jetzt wirklich kontinuierlich aufzeichnen kann. Es gibt jetzt auch die Rekorder, die man wochenlang im Feld laufen lassen kann und die dann ununterbrochen aufzeichnen können bzw. die dann in nem bestimmten Zeitintervall aufzeichnen. Und dann hat man Informationen über Zeiten, wo man praktisch nicht da draußen sein kann. Also man kann auch Aufzeichnungen in Gebieten machen, wo die Anwesenheit des Menschen unerwünscht ist. Wenn ich jetzt mal Kernzonen von Schutzgebieten denke oder wo der Aufenthalt in der Nacht einfach auch gefährlich ist.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *zustimmen*
Carolin Hahn: Und nun sammeln sich ja Unmengen an Daten an. A) Wir können sie die komprimieren bzw. überhaupt auswerten? Und B) Wie kann man die ganzen Daten auch erhalten? Also das auch wirklich Forscher in 20 Jahren vielleicht noch damit arbeiten können und vielleicht die Dateiformate trotzdem noch lesen können. Also gibt es da Bestrebungen? Oder im Sinne von Forschungsdatenmanagement so Vereinheitlichungen?
Karl-Heinz Frommolt: Fangen wir mal von hinten an. Das ist nämlich die einfachste Frage mit den Datenformaten. Da sind wir in der Akustik in der glücklichen Situation, dass wir ein Datenformat haben, das mit Sicherheit Bestand hat. Wenn wir jetzt die Aufnahmen unkomprimiert aufnehmen, dann ist das eigentliche einfach nur eine Zahlenreihe die abgelegt wird. Also einer meiner Lieblingssprüche ist: Wenn der Marsmensch so klug ist… oder irgend so ein interplanetarisches Wesen so klug ist und die Technologie so weit entwickelt hat, dass er bis zur Erde gekommen ist, dann dürfte es ihm nicht schwerfallen irgendwann mal diese Zahlenreihe, die es da gibt zu interpretieren, dass er dann mitkriegt, dass da vielleicht 96.000 mal pro Sekunde der Spannungswerte gemessen wurde und das man daraus dann ne entsprechende Schalldruckkurve rekonstruieren kann und damit ist die Aufnahme da.
Also empfohlen wird, dass zumindest mit 96 Kilohertz abgetastet wird, womit dann ein Frequenzbereich bis 48 Kilohertz abgebildet werden kann und, dass man mit einer Datentiefe von 24 Bit arbeitet. Dieses Format ist eigentlich stabil. Und das ist natürlich der Vorteil, wenn wir jetzt die Aufnahmen wirklich im Rohformat speichern. Anders sieht es bei Komprimierungsverfahren aus. Wenn wir jetzt die Aufnahme in einem komprimierten Verfahren speichern, dann besteht durchaus die Gefahr, dass irgendwann mal das Format einfach nicht mehr genutzt wird.
Jens-Martin Loebel: Man kann es sich also leisten, das unkomprimiert zu speichern?
Karl-Heinz Frommolt: Mittlerweile ja. Wobei also für die Analyse muss man sowieso dann alles wieder dekomprimieren, weil komprimierte Signale kann man nicht analysieren. Wenn wir jetzt eine verlustfreie Komprimierung denken, die gibt es natürlich auch im akustischen Bereich. Aber da erreichen wir vielleicht mal Komprimierungsraten von 50%. Auf der anderen Seite ist es natürlich immer noch sehr sehr Speicher-intensiv und da wird natürlich dann doch die Frage stehen – also gerade wenn ich jetzt anders so Projekte zum akustischen Monitoring denke, dass wir uns klar überlegen müssen was wirklich dauerhaft archiviert werden sollte. Also es ist illusorisch alles aufzuheben.
Jens-Martin Loebel: Weil man es auch gar nicht mehr wahrscheinlich auswerten kann und speichern kann…
Karl-Heinz Frommolt: Es ist eine Frage der Speicherung. Speicherung bedeutet ja auch das entsprechende Sicherungskopien erstellt werden. Das wird dann auch sehr aufwendig. Und auch für die Analyse von umfangreichen Datenmaterial ist zeitaufwendig – zeit- und auch energieaufwendig. Das sollte man an nicht vergessen.
Jens-Martin Loebel: …nicht unterschätzen. Wie sieht es denn mit der Digitalisierung der ganzen analogen Altbestände aus? Gibt es da Herausforderungen? Ist das abgeschlossen schon? Oder kann man überhaupt alles von damals digitalisieren in der Form, dass man es noch nachnutzen kann?
Karl-Heinz Frommolt: Also insofern die Bänder noch erhalten sind kann man das machen. Da sind zwei Probleme, die wir zur Zeit bei der Digitalisierung von Magnetbändern haben. Zum einen sind das die Bänder selbst, dass die nicht dauerhaft haltbar sind. Das da Schäden da sind. Das die Bänder entweder verkleben oder auch anfangen zu bröckeln und damit dann auch Qualitätsverluste da sind. Da muss man mitunter schon mal richtig Tricks anwenden, um die Bänder wieder abspielbar zu machen. Es gibt da keine Universalrezepte. Also teilweise hilft es, die Bänder mal zu backen, so dass sie hier bestimmte Zeit im Trockenschrank 60 Grad Celsius gelegt werden. ei anderen Bändern hilft’s eher, dass sie kühl abgespielt werden. Also gibt’s es kein universelles Rezept. Für den Erhalt von den Aufnahmen ist wirklich der einzige Weg, die zu digitalisieren.
Und das andere Problem, was wir natürlich mit dem Magnetbändern haben sind die Wiedergabegeräte. 1990 wurde meines Wissens das letzte analoge Tonbandgerät hergestellt. Und zur Zeit gibt es noch Leute die die Geräte warten können. Aber es wird irgendwann mal den Zeitpunkt kommen, wo es einfach nicht mehr wirtschaftlich ist, die Geräte zu halten. Also wir gehen davon aus, dass wir unsere Bestände innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre komplette digitalisiert haben. Also von Magnetbändern, die wir haben sind derzeit 97% digital gesichert und dann wird in Zukunft nur noch mit dem digitalen Versionen gearbeitet. Da kann man auch viel einfacher und schneller damit arbeiten und die analogen Bänder sind erstmal noch zur Sicherheit da, falls sich’s herausstellt, dass bei der Digitalisierung vielleicht doch irgendwann ein Fehler gemacht wurde. Ist ja nicht so einfach, denn es gibt ja sehr sehr viele Formate bei den analogen Magnetbändern. Das fängt an mit der Spurlage, ob das nun Halbspur-, Viertelspur oder Vollspur-Aufnahmen waren. Da braucht man schon bisschen Insiderwissen um das Ganze wieder zu rekonstruieren.
Jens-Martin Loebel: Also auch hier wieder ganz viel Praxiswissen und Erfahrung.
Karl-Heinz Frommolt: Da ist Praxiswissen da und das wird auch verloren gehen.
Carolin Hahn: Aber nochmal zurück zur Analyse der Digitalisate. Gibt es da eine bestimmte Software mit der sie arbeiten oder sind das Standardsoftwares, die sich jeder runterladen kann? Oder gibt es da wirklich aus dem wissenschaftlichen Bereich gesonderte Lösungen, die sie da nutzen?
Karl-Heinz Frommolt: Also was zur akustischen Analyse eingesetzt wird es ein Verfahren, das sehr weit verbreitet ist. Das ist die FFT-Analyse, also Fourier-Analyse. Da gibt es sehr viele Programme und es gibt auch eine ganze Reihe von Open-Source-Software womit man ganz gut visualisieren kann. Aber es gibt schon eine Reihe von spezialisierter Software, wo dann spezielle Funktion eingebaut sind. Also wir arbeiten schon in erster Linie mit kommerzieller Software zur Analyse von Lauten.
Carolin Hahn: Und können sie da eine empfehlen? Vielleicht für Studenten, die sich dafür interessieren, dass man mal so ein bisschen rumspielen kann? *lacht*
Karl-Heinz Frommolt: Ja, also speziell für Studenten könnte ich eigentlich die Software Raven die am Cornell Lab of Ornithology entwickelt wird und wurde empfehlen. Und diese Software gibt es auch als eine light- sogenannte Light-Version, die sich eigentlich von der professionellen Version kaum unterscheidet. Die Light-Version ist kostenfrei. Also man muss ich da nur registrieren, bekommt dann einen entsprechenden Lizenz-Schlüssel und kann damit arbeiten. Also im Wesentlichen der Unterschied, den ich jetzt zwischen der Light- und der Pro-Version gesehen habe ist, dass die Light-Version eigentlich nur vernünftig für einen Kanal funktioniert und das man da zwischen den einzelnen Kanälen nicht so richtig hin und her schalten kann. Sonst ist fast alles da.
Carolin Hahn: Und interpretiert so eine Software auch schon? Also gibt es da meinetwegen eine Vogeldatenbank oder Vogelstimmendatenbank die im Hintergrund steht und sagt: Mensch, das könnte ja eine Amsel sein?
Karl-Heinz Frommolt: Nein, das ist eine reine Analysesoftware.
Carolin Hahn: Ah, ja.
Naturblick: Automatische Artbestimmung via App
Karl-Heinz Frommolt: Aber es gibt natürlich auch schon Möglichkeiten jetzt einer automatischen Artbestimmung. Sie haben ja schon die Information zu der Naturblick App gesehen. Also diese Naturblick Appist hier bei uns am Museum entwickelt worden. Und ein Bestandteil dieser App ist eine automatische akustische Erkennung. Das heißt, man kann dann Vogelstimmen aufnehmen und dann wird von der App vorgeschlagen, welche Art das ist. Das funktioniert schon ganz gut. Natürlich nicht mit 100% Sicherheit. Es wird dann immer eine Liste angegeben, welche Art es sein könnte. Und meistens steht dann doch die richtige Art an erster Stelle.
Carolin Hahn: Wir können das ja mal ausprobieren. Ich hatte vor zwei Wochen zu Hause einen Vogel aufgenommen und ich kannte ihn nicht. Ich wusste nicht was es für einer ist und dachte: Mensch dann mache ich doch gleich mal die Naturblick App an. Und es hört sich tatsächlich ein bisschen anders an. Aber es ist schon sehr nah. Ich spiel mal kurz den Laut ab. Also man kann quasi in der Naturblick App ein eigenes Feldbuch anlegen und kann dann quasi Vogelstimmen oder auch andere Stimmen oder Fotos glaube ich auch von Pflanzen, alles ablegen was man so sammelt und kriegt dann dadurch auch eine automatische Analyse. Also ich spiele das jetzt mit ab:
[♫ Vogelgezwitscher ♫]
Karl-Heinz Frommolt: So der Experte würde sagen: Das ist ein Kleiber.
[Vogelgezwitscher Ende]
Carolin Hahn: Und dann kommt tatsächlich, wenn man sich registriert und auch quasi da mithilft, diese Datenbank aufzubauen… Gibt es dann halt tatsächlich dann diese drei Vögel die mir vorgeschlagen wurden. Einmal der Zilpzalp. Und dann kann man sich Durchklicken: Was passt jetzt am besten. Zilpzalp:
[♫ Vogelgesang Zilpzalp ♫]
Carolin Hahn: Der ist schon ein bisschen höher. Die Kohlmeise wird mir vorgeschlagen.
[♫ Vogelgesang Kohlmeise ♫]
Carolin Hahn: Die ist dann auch ein bisschen anders, hat eine andere Melodie. Und dann tatsächlich der Kleiber.
[♫ Vogelgesang Kleiber ♫]
Carolin Hahn: Der ist auch wesentlich lauter als die anderen Vögel.
Karl-Heinz Frommolt: Na von der Lautstärke her kann man das schwer sagen.
Carolin Hahn: Ach ich dachte vom Volumen quasi, vom Stimmvolumen.
Karl-Heinz Frommolt: Ja, der Kleiber ist aber sehr sehr variabel in den Lautäußerungen. Und das wird wahrscheinlich auch der Grund sein weshalb er jetzt nicht so sicher erkannt worden ist.
Carolin Hahn: Aber immerhin mit drin.
Karl-Heinz Frommolt: Aber immerhin an dritter Stelle. Und sehr oft hat man wirklich immer die richtige Art an erster Stelle. Also es wird natürlich auch jetzt hier ständig an dieser Mustererkennung weitergearbeitet. Zur Zeit ist die App eigentlich für den Berliner Raum ausgelegt.
Carolin Hahn: Ja, das war tatsächlich im Hallensichen Raum.
Karl-Heinz Frommolt: Gut, also der Kleiber der würde auch als solcher erkannt. Der ruft in Halle nicht anders als in Berlin.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *schmunzeln*
Jens-Martin Loebel: Gibt es keine lokalen Dialekte?
Karl-Heinz Frommolt: Doch…
Carolin Hahn: Stadtkleiber.
Karl-Heinz Frommolt: Also beim Kleiber kann man das nicht so ohne Weiteres nachweisen. Es gibt natürlich Arten, wo die Dialekte ganz klar da sind. Also bei der Goldamme ist es beispielsweise so, dass ziemlich scharfe Grenzen zwischen einzelnen Gesangsformen sind.
Ja, aber zurück zu der Naturblick App. Die wird weiterentwickelt und eine Richtung, die verfolgt wird ist, dass es nicht eine reine Berliner App werden soll sondern, dass diese App auch deutschlandweit eingesetzt werden kann.
Carolin Hahn: Schön, ja.
Karl-Heinz Frommolt: Also das würde natürlich dann auch bedeuten, dass das Artenspektrum erweitert wird. Also hier sind natürlich dann die häufigsten Berliner Arten drin. Man kann nicht alle Arten erkennen, weil bisher noch nicht alle Arten trainiert worden sind. Man kann jetzt diese Arterkennung zum Einen über die App machen. Aber man könnte es auch über die Webseite des Tierstimmenarchivs machen. Da ist diese Mustererkennung eigentlich – der gleiche Algorithmus – auch implementiert.
Jens-Martin Loebel: Also die App greift auf die Bestände des Tierstimmenarchivs quasi zurück. Also als Trainingsdaten.
Karl-Heinz Frommolt: Die Bestände des Tierstimmenarchivs werden als Trainingsdaten genutzt, ja.
Jens-Martin Loebel: Perspektivisch… Also die App ist ja kostenlos…
Karl-Heinz Frommolt: Ja.
Jens-Martin Loebel: Wie finanziert sich denn das eigentlich?
Karl-Heinz Frommolt: Ja die App ist ein Ergebnis eines Projektes das von BMO finanziert wird.
Carolin Hahn: Und wenn ich eigene Vögel aufnehme bzw. durch den Wald gehe und da halt mit einem Mikrofon oder mit meinem Handy rum laufe oder Fotos von Blumen mache, nutzt ihnen das auch was? Werden meine Forschungsdaten da genutzt oder ist das eher sowas, wo wir sagen, das ist eher Richtung Public Understanding of Science, das ist für uns eine pädagogische Richtung. Sie wollen die Leute an die Wissenschaft und an die Aufmerksamkeit für die Natur bringen.
Karl-Heinz Frommolt: Also derzeit ist diese App in erster Linie dafür, um Aufmerksamkeit für die Natur zu wecken. Und um Wissen zu vermitteln. Aber die Apple soll verstärkt auch dazu eingesetzt werden, um wirklich Erfassungsaufgaben zu lösen. Also um auch zu dokumentieren, was da ist. Dafür ist es auch ganz gut geeignet. Also was natürlich mir sehr wertvoll ist, sind dann auch gesicherte Aufnahme. Sind ja zwei Aspekte. Also wenn sie jetzt irgendwo eine Aufnahme machen, dann ist das ein akustischer Beleg dafür, dass die Art in einem bestimmten Gebiet vorkommt. Wenn wir jetzt den nächsten Schritt gehen und sicher sind, das war jetzt die und die Art und können das Kommentieren – diese Funktion ist ja auch in der Naturblick App vorgesehen – ob man jetzt bestätigt, dass er sich um diese Art handelt. Dann kann man dann auch diese Aufnahmen dann auch wieder als Trainingsmaterial mit verwenden.
Carolin Hahn: Schön.
Jens-Martin Loebel: Also ich kann wirklich einen Beitrag leisten zur Forschung…
Karl-Heinz Frommolt: Ja.
Jens-Martin Loebel: …indem ich mir das runterlade und sozusagen die Welt um mich herum beobachte und die Tiere dann eben aufnehme.
Carolin Hahn: Und dann gibt es dann wahrscheinlich immer einen Ort- und einen Zeitstempel mit drin in der Aufnahme, der ihnen dann auch zur Verfügung steht.
Karl-Heinz Frommolt: Das ist auf jeden Fall auch drin.
Carolin Hahn: Mhhh, schön.
Karl-Heinz Frommolt: Das ist ja der Vorteil wenn das jetzt mit Handy aufgenommen wird das man gleich diese Informationen auch hat. Ja und dieses Jahr haben wir auch noch ein neues Projekt gestartet. Da geht’s um den Gesang der Nachtigall und das ist ein Citizen Science Projekt, was schon angelaufen ist. Wo aber jetzt für die aktive Arbeit anlaufen wird in den nächsten Tagen, wenn dann die Nachtigallen gekommen. Das dann die Gesangsvariabilität der Nachtigall auf Grundlage von Smartphone-Aufnahmen analysiert wird. Und sind wir natürlich auch daran interessiert dass, sehr sehr viele mitmachen. Und die technische Basis dafür ist auch diese Naturblick App.
Carolin Hahn: Das heißt, wenn ich mitmachen möchte reicht es eigentlich, wenn ich die Naturblick App mir runterlade. Oder muss ich mich da noch irgendwo anmelden? Oder sagen: Mensch, ich bin an Nachtigallen interessiert. Da ist eine Website dazu oder…?
Karl-Heinz Frommolt: Man muss auf jeden Fall dann die Naturblick App aktualisieren. Und da wird es dann einen entsprechenden Button geben, dass man dann direkt hat zu diesem Nachtigall-Projekt kommt.
Carolin Hahn: Schön.
Jens-Martin Loebel: Schön. Welches Potenzial sehen sie denn da noch – so im Hinblick auf Citizen Science – bei dieser App?
Karl-Heinz Frommolt: Sehr viele Möglichkeiten. Also man muss natürlich dann entsprechendes Aufgabendesign entwickeln. Das man wirklich die Ergebnisse rauskriegt die man auch – nicht die man haben will – sondern, dass man wirklich sichere Ergebnisse rauskriegt. Ein Probleme bei Citizen-Science-Projekten ist ja, dass die Daten recht willkürlich erhoben werden. Dann wenn die Leute Lust haben. Die Stichproben werden nicht gleichmäßig verteilt sein. Und da muss man dann sich überlegen, wie man damit umgeht. Und wie man dan wirklich – wenn es z. B. und die Verbreitung geht – rauskriegt, dass man – jetzt konkret bei der Nachtigall – die Verbreitung der Nachtigall abbildet und nicht die Verbreitung der nachtaktiven Menschen.
Carolin Hahn: Machen sie dann Sperren rein, dass man meinetwegen morgens von 8 bis 10 die App nicht benutzen kann oder nur in einem bestimmten Zeitraum?
Karl-Heinz Frommolt: Nein, nein.
Jens-Martin Loebel: Das muss man dann, glaube ich, hinterher filtern und gucken.
Carolin Hahn: Ja.
Karl-Heinz Frommolt: Das sieht man dann schon. Das Projekt ist ja gerade erst mal im Aufbau begriffen und dieses Jahr wird sich dann erstmal zeigen, wo die Probleme sind. Und wichtig ist erstmal mit der Datenaufnahme zu beginnen.
Jens-Martin Loebel: Sehr viele ja Potenziale aber es muss noch viel geforscht werden.
Carolin Hahn: Es ist ja auch jetzt schon sehr auch in die Öffentlichkeit vorgedrungen, dass so ein Singvogelsterben in Deutschland gibt. Merken sie das auch an der Anzahl der Aufnahmen z. B. die kommen? Oder haben sie jetzt schon allein durch diese bioakustischen Methoden da einen Beleg dafür, dass dass dem so ist? Oder ist sowas komplett unabhängig davon bei der Bestandsmessung im Sinne von Zielen und akustische Messung?
Karl-Heinz Frommolt: Also die akustische Bestandserfassung ist noch in Entwicklung. Da können wir noch nicht so im Detail nachweisen, was da in den letzten Jahren passiert ist. Das ist eine Frage für zukünftige Erfassung. Also wir haben zwar für eine Art in einem Gebiet mal über mehrere Jahre gemacht, dass wir dann wirklich den Bestand verfolgen konnten. Das war die Rohrdommel gewesen. Aber für die generellen Bestandstrends sind wir auf jeden Fall auf herkömmliche Methoden angewiesen. Die Bestandserfassung, der von den Ornithologen durchgeführt werden und die dann doch deutlich den Rückgang bei einer Vielzahl von Arten nachweisen konnten. Insbesondere bei Arten in der Agrarlandschaft. Also es ist nicht so, dass ein generelles Vogelsterben da ist. Also ich würde hier auch von einem Bestandsrückgang sprechen und nicht von einem Vogelsterben. Weil da eher der ausbleibende Fortpflanzungserfolg eine ganz wichtige Rolle spielt.
Carolin Hahn: Durch die Hindernisse. Also große Felder, große Hecken.
Karl-Heinz Frommolt: Ja, bei den Feldern ist auch das Problem, dass die Halmdicht der dicht ist und dadurch kaum noch Feldlerchen hochkommen. Ein anderes Problem ist natürlich auch eine direkte Verfolgung, insbesondere bei ziehenden Vogelarten. Im Mittelmeerraum werden sehr sehr viele Vögel weggefangen. Wobei das jetzt weniger im europäischen Raum ist, sondern eher im nordafrikanischen Raum, wo quasi die ganze Küste voller Vogelnetze steht und die Vögel gefangen werden. Was natürlich nicht ganz ohne Einfluss auf die Vogelbestände auch hier in Mitteleuropa ist.
Zukunftsmusik und Anschlussprojekte des Tierstimmenarchivs
Jens-Martin Loebel: Woran arbeiten sie den perspektivisch, hier im Archiv?
Karl-Heinz Frommolt: Also perspektivisch geht’s uns vor allen Dingen um akustisches Monitoring, dass wir auf der Grundlage von Langzeitaufnahmen auch Änderungen in der Artenzusammensetzung und auch in der Bestandsdichte erfassen können. Da haben wir jetzt einige Projekte ins Visier gefasst. Das heißt aber, dass dann auch die Mustererkennung weiterentwickelt wird. Also wenn wir jetzt mal gerade die Naturblick App sehen. Das ist ja noch der einfachste ein Fall für eine Mustererkennung. Also man nimmt gezielt eine Art auf und will wissen, welche Art ist das. Auch das ist schon nicht ganz einfach. Aber die Realität sieht nun mal etwas anders aus. Also wenn wir draußen sind, da sind wir von der zahlreichen Vogelstimmen von allen Seiten umgeben. Und wenn wir automatisch aufzeichnen können wir das Mikrofon nicht gezielt auf einen Vogel hindrehen. Wir werden dann mit mehreren Mikrofonen gleichzeitig aufzeichnen und die Herausforderung ist natürlich, dann die einzelnen Stimmen aus diesem Stimmengewirr zu selektieren. Und idealerweise wissen wir da nicht nur welche Arten da vorkommen, sondern auch noch wie viel mit der jeweiligen Art.
Carolin Hahn: Sie sind ja nun am Naturkundemuseum angeschlossen. Gibt es da ähnliche Projekte? Also, die sich vielleicht nicht auf das akustische Monitoring beziehen, sondern auf Spuren von Tieren oder… Also, wie gestaltet sich die Arbeit im Naturkundemuseum? Wie können sie da andocken?
Karl-Heinz Frommolt: Ja also die Biodiversitätsdynamik ist ja ein Schwerpunkt der Forschung am Naturkundemuseum. Da gibt es auch noch andere Arbeitsgruppen, die in die Richtung arbeiten. Eine sehr große Nähe haben wir z. B. zu der Arbeitsgruppe von Herrn Rödel, der mit Fröschen arbeite. Wobei auch da die Akustik eine bestimmte Rolle spielt. Er untersucht dann ökologische Fragestellungen an der Fröschen, insbesondere in Zentralafrika. Aber auch einige Projekte hier in der heimischen Amphibienfauna.
Carolin Hahn: Und wenn man jetzt den Fokus noch ein bisschen weiter ausdehnt: Ich war letzte Woche in dem Humboldt-Würfel und da gibt es ja jetzt so eine kleine Beispielausstellung zwischen dem Phonogrammarchiv und dem Ethnologischen Museum, die da zusammenarbeiten und eine gemeinsame Ausstellung dann im Stadtschloss starten möchten. Machen sie da auch mit? Sind sie da auch mit beteiligt an so kollaborativen Ausstellungen oder ist das eher quasi wie so ein kleines Leuchtturmprojekt, das Tierstimmenarchiv in Berlin?
Karl-Heinz Frommolt: Wir tragen natürlich auch zur Ausstellung bei und direkt – ja also mit Team sind wir auch in Kontakt und zur Zeit haben wir da gerade auch den Bildungsbereich unterstützt. Da läuft zur Zeit auch so ein Projekt mit Kindern. Um die mal ran zu führen hat man dann auch mal die alte Aufnahmetechnik zur Verfügung gestellt. Das ist eine Möglichkeit, die wir wahrscheinlich nicht mehr sehr lange haben. Aber wir haben noch funktionierende analoge Rekordergeräte und auch noch ein paar Bänder, so dass Kinder auch mal sehen können, wie es früher war. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine sehr schöne Möglichkeit, die Physik nahezubringen. Also wenn man jetzt einfach nur diese digitale Box nimm, da sieht man überhaupt nicht da was passiert. Und bei so einem analogen Tonbandgerät, da kann man noch ein bisschen besser erläutern, was eigentlich da passiert. Ja und sonst unterstützen wir zahlreiche Ausstellungen. In zahlreichen Naturkunde-Museen werden unsere Aufnahmen genutzt.
Carolin Hahn: Schön, ja.
Nutzbarkeit von Daten als Qualitätskriterium eines guten Archivs
Jens-Martin Loebel: Sie sind ja auch das weltgrößte Archiv, ist das richtig?
Karl-Heinz Frommolt: Wir sagen immer wir gehören zu den drei größten.
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *schmunzeln*
Karl-Heinz Frommolt: Mittlerweile sind Größe und Umfang nicht mehr das richtig Kriterium. Also wenn man ganz einfach zählen will, wie viel Aufnahmen sind es. Also wenn wir wollen, erzeugen wir in einer Nacht mehr Aufnahmen als wir bisher hier haben. Wenn man dann die Abschnitte entsprechend klein wählt oder mit entsprechend viel Technik ran geht. Aber es ist eigentlich die Anzahl der Aufnahmen nur ein relatives Kriterium.
Jens-Martin Loebel: Was ist das, wo man sagt: Daran sollte man das messen? Die Qualität? Oder die Zugänglichkeit?
Karl-Heinz Frommolt: Also wichtig ist die Nutzbarkeit. Das wäre für mich ganz entscheidend, dass man wirklich auf die Aufnahmen zurückgreifen kann. Das die Aufnahmen auch in einem dauerhaften Formate gespeichert sind. Das sie wirklich unkomprimiert gespeichert sind und das natürlich auch immer sehr gute Dokumentationen vorliegt.
Jens-Martin Loebel: Wie ist es denn mit den Aufnahmen hier vom Archiv? Kann ich die nutzen? Kann ich die über die Website abrufen? Was kann ich damit machen?
Karl-Heinz Frommolt: Also freie über die Webseite kann man gekürzte Version abrufen. Also die haben auch aus zwei Gründen bearbeitet. Ja, der eine Grund ist, dass die Originalaufnahmen in der Regel zu lang sind. Dann sind auch Sprachkommentare dabei, die wir ungern frei zugänglich machen würden. Und auf der anderen Seite für die meisten Nutzer sind die Originalaufnahmen einfach zu lang. Und deshalb haben wir die auch ein bisschen aufgearbeitet, also dann ca. 20 Sekunden Aufnahmen bereitgestellt. Also mittlerweile sind das über 20.000 Aufnahmen, die man sich da frei runterladen kann im MP3-Format. Also MP3-Format auch in erster Linie damit der Download schneller geht und für die meisten Zwecke reicht das aus. Also wer die Aufnahmen für wissenschaftliche Zwecke braucht, der müsste uns dann kontaktieren und für diejenigen könnten wir dann auch die komplette Aufnahme freischalten. Also das man dann auch gezielt alles runterladen kann.
Carolin Hahn: Schön, ja.
Jens-Martin Loebel: Das heißt bei Forschungsinteresse kann man sich immer an sie wenden?
Karl-Heinz Frommolt: Ja, und da stellen wir dann auch die Aufnahmen kostenfrei zur Verfügung. Und sonst sollte man dann auch mal genau schauen unter welcher Lizenz die Aufnahmen zur Verfügung gestellt werden. Also die meisten Aufnahmen sind nur für die nicht-kommerzielle Nutzung freigegeben. Das hat natürlich auch einen Grund darin, dass wir die Urheberrechte waren müssen. Also wir bekommen ja die Aufnahmen auch von Externen und diese müssen natürlich zustimmen, wenn diese Aufnahmen für kommerzielle Zwecke genutzt werden sollten.
Jens-Martin Loebel: Man will ja wahrscheinlich auch nicht, dass irgendeine Firma kommt und die Dinge, die man hier über 50 Jahre gesammelt hat, dann einfach nimmt und irgendetwas damit tut.
Karl-Heinz Frommolt: Ja also die Firma muss sich natürlich dann auch an das Lizenzrecht halten. Und die Bestimmungen im deutschen Urheberrecht sind da recht klar, dass derjenige der die Aufnahme erstellt hat auch die Rechte daran hat.
Tipps und Wünsche an den Nachwuchs
Jens-Martin Loebel: Was wäre denn ihr persönlicher Wunsch, wo die Forschung hingehen sollte. Ja, in welches Gebiet man investieren sollte und wo es auch mit dem Archiv hingehen sollte perspektivisch?
Karl-Heinz Frommolt: Perspektivisch haben wir eigentlich schon die Richtung eingeschlagen. Also ich denke, das gerade die Aufgaben des Monitoring ist eine zentrale Aufgabe des Archivs werden sollte. Das dann auch hier ne zentrale Anlaufstelle ist, wenn es um Fragen der automatischen Erkennung von Tierstimmen geht. Das hierfür diese Aufgabenstellung insbesondere die Referenz-Bibliotheken installiert werden. Also ob es sinnvoll ist, sich hier dann sämtliche Monitoring-Aufnahmen zu speichern, das sei mal in Frage gestellt. Das wird dann wahrscheinlich unsere Kapazitäten auch überschreiten. Also generell wäre es dann Anlaufpunkt, um diese Veränderungen zu dokumentieren. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein Anlaufpunkt für vielfältige andere Forschungsfragen.
Also klassische bioakustische Fragestellungen können natürlich anhand des Tonmaterials bearbeitet werden. Eine wichtige Aufgabe, die zunehmend ausgebaut werden sollte ist, dass hier das Tierstimmenarchiv auch als Speicher wissenschaftlicher Daten dient. Damit haben wir eigentlich erst in den letzten Jahren angefangen, dass wir zumindest die Aufnahme die in bestimmten wissenschaftlichen Journalen für Abbildung genutzt werden, hier hinterlegt werden. So, dass die dann auch dauerhaft zur Verfügung stehen. Im Idealfall wäre es so, dass das Tierstimmenarchiv – jetzt spreche ich in der Mehrzahl – dann auch der Ort sind, wo das gesamte wissenschaftliche bioakustische Material mal hinterlegt wird. Das es dann auch, das dann wissenschaftliche Untersuchungen nachvollziehbar sind. Und natürlich bietet das Archiv auch eine unschätzbare Quelle für Künstler und natürlich auch für Bildungsarbeit.
Jens-Martin Loebel: Was können sie denn Biologie-Studentinnen und -Studenten mit auf den Weg geben? Was würden sie sagen? Wenn ich mich jetzt dafür interessiere, was soll ich machen? Wo soll ich mich im Studium fokussieren? Was sollte ich tun? Haben sie da irgendeine Sache, die sie…
Carolin Hahn: …Und ja vielleicht auch welche – ich meine wir haben es ja schon angesprochen – aber welche Software lohnt sich schon im Studium aufzubauen? So ein paar Softwareskills oder Praktika?…
Jens-Martin Loebel: … oder mit welchen Standorten soll ich mal Kontakt – wo soll ich ein Praktikum machen, oder so?
Karl-Heinz Frommolt: Also auf jeden Fall sollte sich erstmal ein Biologiestudent gut informieren, was an den jeweiligen Universitäten läuft. Also wo wirklich solche Richtungen mal verfolgt werden. Und dann dort nach Möglichkeit auch nach einem Praktikum suchen.
Carolin Hahn: Kann man bei Ihnen hier im Tierstimmenarchiv auch ein Praktikum machen?
Karl-Heinz Frommolt: Also wir hatten hier auch schon Praktikanten gehabt. Also, ich betreue auch regelmäßig Master- und Bacherlorstudenten. Das ist durchaus möglich.
Carolin Hahn: Und geht man dann auch ins Feld in einem Praktikum oder ist das eher wo ich dann lerne die Tonaufnahmen auszuwerten? Also was erwartet mich als Student, wenn ich mich bei ihnen melde und vielleicht vier Wochen hier verbringen möchte?
Karl-Heinz Frommolt: Die glücklichste Variante ist immer wenn man das Ganze kombiniert. Also wenn zumindest ein Feldteil da ist und wir dann das was wir in der Konserve haben zumindest noch als Sicherheit da haben.
Carolin Hahn: Auch als Vergleichsmöglichkeit?
Karl-Heinz Frommolt: Als Vergleichsmöglichkeit oder sozusagen also wenn das selbst gesammelte Datenmaterial nicht ausreicht, dass das entsprechend nachergänzt wird.
Jens-Martin Loebel: Ich finde es sehr schön, dass man direkt in so ein Forschungsprojekt eingebunden wird. Da lernt man am meisten, wenn ich an aktuellen Dingen teilhaben kann.
Gibt es irgendetwas, was sie sich von den Studenten wünschen?
Karl-Heinz Frommolt: Au, das ist eine gute Frage! *lacht* Ich habe auch regelmäßig Kontakt mit Studenten während taxonomisch ökologischer Übungen. Da führe ich jedes Jahr also eine Exkursion nach Hiddensee mit durch. Und was ich eigentlich Studenten nur empfehlen kann ist einfach, sich umzuschauen und nicht zu engstirnig zu sein. Also ruhig auch mal übern Tellerrand zu schauen.
Jens-Martin Loebel: Das heißt, trotz des etwas rigiden Bachelor- und Masterstudiums eher so zu agieren, wie früher beim Diplom, wo man sich getraut hat.
Karl-Heinz Frommolt: Durchaus mal den Mut haben, auch andere Themen anzugehen.
Jens-Martin Loebel: Haben sie da irgendein Hot Topic wo sie sagen, das könnte was Spannendes werden?
Karl-Heinz Frommolt: Gibts viele, aber…
Carolin Hahn / Jens-Martin Loebel: *lachen*
Jens-Martin Loebel: Man will jetzt auch die Kollegen nicht in die Pfanne hauen.
Verabschiedung
Carolin Hahn: Ja, war sehr schön mit ihnen zu reden, Herr Frommolt.
Jens-Martin Loebel: Ja, vielen vielen Dank, dass wir das machen durften. Das sie sich die Zeit genommen haben.
Carolin Hahn: Ich bin ganz glücklich.
Jens-Martin Loebel: Ja, ganz ganz herzlichen Dank!
Karl-Heinz Frommolt: Freut mich.
Jens-Martin Loebel: Ja, das war’s auch schon wieder. Wir hätten noch stundenlang weiterreden können. Vielen Dank an Herrn Frommolt, dass er sich so viel Zeit für uns genommen hat.
Carolin Hahn: Das Transkript zum Nachlesen, unsere Notizen und viele weitere Infos findet ihr natürlich wie immer auf unserer Website.
Jens-Martin Loebel: Ja, damit schließen wir für heute. Wir freuen uns schon auf euer Feedback und auf das nächste Mal.
Carolin Hahn: Tschüß!
Jens-Martin Loebel: Ciao!
[♫ Intromusik ertönt ♫]
Volker Davids: Das war Digitale Wissenschaft. Weitere Informationen und Links sowie Diskussionsmöglichkeiten zum Podcast findet ihr auf unserer Webseite digitale-wissenschaft.de. Dort gibt es auch unserem Wissensblog in dem wir über Tools, Software und hilfreiche Methoden der digitalen Forschung informieren. Wenn euch die Sendung gefallen hat, könnt ihr uns gerne auf der Crowdfunding-Plattform patreon.com/digiwissen unterstützen. Unser Titellied lautet Epic Song und ist von BoxCat Games. Wir bedanken uns bei allen Zuhörern und freuen uns schon auf das nächste Mal.
[Intromusik endet]